Bochum. Zwei ehemalige Vorstände des früheren Wattenscheider Computerspiel-Entwicklers Phenomedia AG ("Moorhuhn") sind am Freitagmittag vom Bochumer Landgericht zu Haftstrafen von drei Jahren und zehn Monaten sowie drei Jahren verurteilt worden.
Es war Deutschlands aktuell vielleicht längster Strafprozess. Er dauerte vier Jahre und dreieinhalb Monate. Nach fast 120 Sitzungstagen stellte die 6. Wirtschaftsstrafkammer jetzt fest, dass der damalige Vorstandsvorsitzende (39) und sein Finanzvorstand (37) mehrere Jahresbilanzen der Phenomedia AG bis Frühjahr 2002 um rund 15 Millionen Euro durch Luftbuchungen hochgejubelt haben, um dem übersteigerten Erwartungsdruck am damaligen Neuen Markt gerecht zu werden. Deshalb hätten sie "Umsatzzahlen aufgebläht" und in die Welt gesetzt, die gar nicht hätten erreicht werden können, sagte Vorsitzender Richter Gerd Riechert.
Aktie stürzte von 90 Euro auf 85 Cent ab
Dazu hätten sie auch mit "Scheinrechnungen" und "fingierten Geschäften" operiert und deren Zahlen in die Bilanzen hineingebucht - alles am Aufsichtsrat vorbei. Außerdem stellten die Richter Kreditbetrug zu Lasten einer Bank und Untreuehandlungen jeweils mit einem Millionenschaden fest; schließlich Urkundenfälschung. Nachdem der Skandal im Frühjahr 2002 aufgeflogen war, stürzte die Aktie auf 85 Cent ab - und hunderte Anleger guckten in die Röhre. Zu Spitzenzeiten hatte der Wert bei 90 Euro gelegen.
Anleger mussten bei Laune gehalten werden
Als die Phenomedia AG im November 1999 an die Börse ging, flossen aufgrund angeblich falscher Angaben im Prospekt an nur einem Tag 40 Mio Mark in ihre Kassen. "Wir wurden mit fremdem Geld nur so zugeworfen", sagte der Ex-Vorstandschef. Mit dieser Geldmenge sowie den hysterischen und extrem dynamischen Unberechenbarkeiten des Neuen Marktes konnten die beiden jungen und eher unerfahrenen Aufsteiger offensichtlich nicht umgehen. Gleichzeitig mussten sie aber die Anleger mit hohen Aktienkursen und tollen Umsatzzahlen bei Laune halten. "Alle waren geblendet von dem Rausch des Marktes", sagte der 39-jährige Ex-Vorstandschef einmal im Prozess. "Es musste alles toll aussehen, ob es realistisch war, war egal." Und der 37-Jährige meinte am Freitag: "Man ist Prognosen hinterhergerannt."
"Wir haben ein Spiel gespielt, Monopoly, mit echtem Geld"
Im Frühjahr 2002 wurden den beiden damaligen Vorständen die jahrelangen Manipulationen aber zu heiß: Sie stellten sich selbst der Staatsanwaltschaft Bochum. "Wir haben ein Spiel gespielt, Monopoly, nur mit echtem Geld", sagte der Ex-Vorstandschef unmittelbar vor seiner Verurteilung.
Als am 2. November 2004 der Prozess begann, ahnte niemand, dass er sich so lange hinschleppen würde. Das lag nicht nur daran, dass die Angeklagten jahrelang nur geringfügig geständig waren. Sondern auch an einer Überlastung der Strafkammer mit vielen anderen Fällen, wie sie erklärte. Weil die Verfahrensverzögerung deshalb teilweise der Justiz anzulasten sei, ordneten die Richter im Urteil an, dass von den verhängten Strafen aus Gründen der Kompensation jeweils ein Jahr und drei Monate Haft als bereits vollstreckt anzusehen sind.
Geständig waren die Angeklagten erst ganz zuletzt im Prozess. "Ich hatte nicht mehr den Willen und die Kraft, weiter zu kämpfen", sagte der 39-Jährige am Freitag. Er tat dies innerhalb seines so genannten "letzten Wortes". Diese vorbereitete Rede, abgelesen vom Blatt, war eine Mischung aus Selbstbezichtigung ("Mein gesunder Menschenverstand war bis Mai 2002 ausgeschaltet") und Vorwürfen an damalige Weggefährten, etwa den Aufsichtsrat. Dieser habe alles gar nicht richtig kontrolliert. Gleichzeitig entschuldigte er sich aber auch Geschädigten. "Ich habe schlimme Fehler gemacht." Und: "Ich kann es nur bedauern und bereuen."
"Der Neue Markt ist Geschichte. Und ich bin Teil davon"
Nach dem Urteil stand der Familienvater, der schon in der Jugend ein Computerspiel-Freak war, auf dem Gerichtsflur vor laufenden Kameras. Und sagte: "Der Neue Markt ist Geschichte. Und ich bin Teil davon."
Die damalige Phenomedia AG hat übrigens nichts mehr mit der heutigen Phenomedia Publishing GmbH tun, die das Moorhuhn und andere Figuren aus der Welt der Unterhaltungssoftware weiter managt.