Die Machtergreifung der Nazis in Bochum – das geschah nicht am 30. Januar 1933, nicht in den Wochen danach, sondern lässt sich als ein Prozess beschreiben, der schon Monate zuvor, wenn auch schleichend, die in demokratischen Gepflogenheit so unerfahrene Gesellschaft von innen gleichsam zersetzte. Als genauer Beobachter, Analyst und Dokumetierer dieser Geschehnisse in unserer Stadt kann Dr. Johannes Volker Wagner (73), über 30 Jahre Leiter des Stadtarchives, als hervorragende Quelle dienen für die Aufarbeitung dieses schrecklichen Kapitels der Stadtgeschichte.
Bilder vom Tag danach, Bilder vom 30. Januar gibt es kaum. Natürlich bildete der damals eher konservative „Bochumer Anzeiger“ am 1. Februar 1933 die Fotos aus Berlin - Hindenburg, Hitler an offenen Fenstern, davor die vorbeimarschierende SA - ab. In Bochum blieb es recht ruhig. Es kam zu kleineren Schlägereien „zwischen Nationalsozialisten und Andersdenkenden“. In einer zweiten Meldung berichtete das Blatt von einem Marsch der SA durch die Stadt mitten hinein in die Hochburg der Kommunisten zum Moltkemarkt (Springerplatz). Originalton: „Nach Ordnung der SA-Formationen, denen sich Parteiangehörige in Zivil anschlossen, marschierte der Zug, in dem Hunderte von lodernden Fackeln getragen wurden, über die Maarbrücker Straße zum Moltkemarkt, der inzwischen gesäubert wurde.“ Wovon er denn „gesäubert“ worden war, konnte der Zeitungsleser einige Zeilen zuvor lesen. Kommunisten hatten dort bereits zum Widerstand aufgerufen. Einen Umzug der KPD im Griesenbruch hatte die Polizei aber nicht genehmigt. Die Demonstrationsteilnehmer seien „mit dem Gummiknüppel fortgetrieben“ worden.
Doch hätten sich Machtdemonstrationen vor Ort zunächst in Grenzen gehalten, wohl auch, weil die NSDAP in Teilen gar nicht mehr damit gerechnet habe, die Macht im Reich zu erlangen. Dr. Wagner beschreibt in seinen Büchern und Filmen anhand von Dokumenten und Zeitzeugen, dass es nur wenig direkte öffentliche Aufrufe zum Widerstand gab. „Offenbar hofften sowohl Kommunisten als auch die SPD, deren beider Organisationen Waffen besaßen, noch auf eine Gelegenheit zum Widerstand.“ Immerhin sind Flugblätter der Kommunisten bekannt, die zur Industrie-Sabotage aufrufen; auch sei mit der Idee eines Generalstreiks gespielt worden. Dieser scheiterte an der Zerstrittenheit der Linke untereinander.
Aus Angst liefen schon im Februar erste Gegner zur NSDAP über. Vor der Kommunalwahl am 12. März 1933 hatten Aktivisten am Rathaus bereits die Hakenkreuzfahne gehisst. Nebenstehendes Foto, das einen Aufmarsch (im Archiv als 1. Aufmarsch verzeichnet) vom 4. April 1933 zeigt, dokumentiert, dass nur wenige Schaulustige den Marschkolonnen den rechte Arm zum Hitlergruß entgegenstrecken. Noch nicht.