Bochum. Die Schriftstellerin Heide Rieck hat einen Roman über ein Leben im 20. Jahrhundert vorgelegt

Ein Leben, erzählt als Roman. Oft versucht, nicht allzu oft gelungen. Es hat mit Glück zu tun, wenn ein exemplarisches, ein besonderes Leben als Stoff in die Hände einer dafür offenen und sensiblen Autorin gelangt. Diesen Glücksfall haben wir mit Heide Riecks Roman „Aber die Schatten...“ vor uns.

Das grausame 20. Jahrhundert

Auf 500 satten Seiten breitet die Bochumer Autorin das Leben des Walter Grunberg aus. Ein Spross einer christlich-jüdischen Wiener Familie, der durch die Nazis vertrieben in Israel lebt, später bei der amerikanischen Air Force arbeitet, in New York und Colorado arbeitet, dann Psychologie-Professor wird und nach Wien zurückkehrt. Ein Mensch, in dessen Biografie sich das grausame 20. Jahrhundert tief eingeschrieben hat. Denn als er Wien verließ, ließ er seine Eltern zurück - sie werden deportiert und ermordet. Und seine Heimat. Die Autorin gibt über dem Walter Grunberg eine Stimme, lässt so teilhaben an der Ambivalenz einer solchen Existenz zwischen den fürchterlichen Mahlwerken der Historie.

„Alles vergessen für eine Sekunde“

Ambivalenz deshalb, weil in all den Fürchterlichkeiten zwischen Exil, Krieg und Armut, zwischen Sorge und Zukunftsangst immer noch anderes stattfindet. Bei Walter ist das vor allem Liebe, die Suche nach der Frau. „Ist nicht auch die Gabe, vergessen zu können ein Geschenk der Liebe? Alles vergessen für eine Sekunde, in der das Leben sich in einem Funken bündelt, um als Feuerblüte am Nachthimmel zu verströmen“, so denkt Walter, verliebt in Fella, die ihn aber verlassen wird - um Jahrzehnte später, 300 Seiten später, noch einmal für eine sexuelle Eskapade zurückzukehren. Absurditäten eines Lebens.

Lebensmotto bei Franz Werfel

Die Liebe und die Karriere, der Wunsch zu fliegen, das sind die Antriebsstoffe des früh verwundeten Menschen, sie ermöglichen es ihm sich über die „Schatten“ hinwegzubewegen, ohne je reines Glück zu finden. Denn auch diese sind vergiftet. Durch Eifersucht und Wahn, durch Gefahr und Misserfolg.

Bei Franz Werfel findet Grunberg, der als Grünberg geboren wurde, sein Lebensmotto: „Von Stunde zu Stunde zu leben nie vorwärts noch rückwärts denken. Leben!“. Diese geistige Bewegung darzustellen, vital und in kräftigen Farben, das ist das Verdienst Heide Riecks. Die Prosa ist satt, zeigt her, wie gut die Autorin die Schauplätze kennt, die Wärme und die Gerüche des Mittelmeeres, die Kälte der nächtlichen Wüste wie auch die Urbanität der amerikanischen Großstadt.

Lesestoff pur

20 Monate hat sie korrespondiert mit dem realen Walter Grunberg, um diesem Menschen nahe zu kommen. Nahe gekommen ist sie dabei vor allem einer Freiheitsliebe, die sich gründet auf Individualität und Toleranz. Die sich verdichtet in einer Geschichte, die vom Wiener Caféhaus und den Lehren Freuds bis in die Gegenwart reicht. Lesestoff pur.