Bochum. . Die Betreuungsangebote für Kleinkinder werden vielfältiger. Obwohl die Zahl der Tagesmütter deutlich steigt, fehlen noch immer tausende Betreuungsplätze für Kleinkinder. In Bochum gründeten Tagesmütter jetzt eine eigene Kita. „Großpflege“ nennen sie das neue Modell.

Dreimal schon kam seine Mutter mit ihm zu Besuch vorbei, und die Art und Weise wie Lenni sich zwischen Kinderstühlen und Bobbycars bewegt, ist ein gutes Zeichen. Kein Fremdeln, kein ängstliches Suchen nach Mamas Hand. Doch gerade jetzt scheint ihm die Situation nicht ganz geheuer. Sie hat, das Handy am Ohr, den Raum verlassen, will sich in Ruhe auf ein Gespräch mit ihrem Chef konzentrieren: „Ja, dreißig Stunden die Woche, das wäre gut!“ Und da krabbelt der Einjährige ihr dann sicherheitshalber doch hinterher. Der ganz normale Alltag in einer Kindertagesstätte also.

Aber diese Einrichtung im Bochumer Stadtteil Gerthe ist keine normale Einrichtung. Bald drei Jahre lang stand der katholische Kindergarten von St. Elisabeth leer, bis Simone Hammerschmidt ihn entdeckte. Hammerschmidt, eine 55-jährige ehemalige Verwaltungsangestellte, arbeitet bereits seit sechs Jahren als Tagesmutter, schloss sich nun mit einer weiteren Tagesmutter zusammen, um ihrer beruflichen Existenz eine breitere Basis zu verschaffen. „Großpflege“ nennt sich das.

Zahl der Tagesmütter in NRW ist deutlich gestiegen

Kinderbetreuung in Deutschland ist vielfältiger geworden. Allein in Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der offiziell gemeldeten Tagesmütter von knapp 7400 (in 2007) auf 10.423 (in 2010) gestiegen. Quer durch das Land mühen sich Kommunen, neue Kita-Plätze zu errichten, gründen Großunternehmen eigene Betriebskindergärten. Und trotzdem wird das Betreuungsangebot aller Voraussicht nach nicht ausreichen, um dem ab 1. August 2013 geltenden Rechtsanspruch von Eltern auf einen Platz für ihr Kleinkind gerecht zu werden.

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„Um den zu erfüllen, fehlen 16.000 Tagesmütter und 14.000 Erzieherinnen“, sagt Gerd Landsberg, der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes. Der fordert längst eine Tagesmütter-Offensive, um für den Beruf zu werben. „Erzieherinnen, die jetzt ihre Ausbildung beginnen, stehen uns erst in ein paar Jahren zur Verfügung. Tagesmütter können schneller ausgebildet werden“, sagt Landsberg.

Schwangere melden ihre ungeborenen Kinder bereits an

Das Bochumer Kinderhaus Lothringen von Simone Hammerschmidt befindet sich noch in der Aufbauphase. Hammerschmidt, die das Projekt mit der ausgebildeten Kinderpflegerin Melanie Ruschemeyer (33) auf die Beine stellte, hat eigens ein Existenzgründer-Darlehen aufgenommen. Sie ließ in dem 70er-Jahre Kindergarten eine neue Heizung installieren, riss Wände heraus und richtete ihn neu ein. Mit klassischen Kindergarten-Möbeln und viel Ikea. Ein schöner Ort, Kind zu sein, umgeben von einem großen, geschützten Garten. Aber eben auch eine Investition. Eine, die sich rentieren soll.

Drei Kleinkinder gewöhnen sich dort gerade ein, weitere sind angemeldet. Neun, so sieht es das Gesetz vor, dürfen es maximal sein. Zu wenig, als dass es sich angesichts der Betriebskosten für zwei selbstständige Tagesmütter und eine angestellte rechnen würde. Und so denkt Hammerschmidt bereits weiter. Eine private Kindertagesstätte für zehn Kinder soll das Angebot ergänzen. Platz genug gibt es, Interessenten auch. „Drei schwangere Frauen haben ihre ungeborenen Kinder bereits angemeldet“, sagt Hammerschmidt.

Rechtsanspruch auf Betreuungsplatz

Auch das ist Alltag, dass sich Eltern die Hacken abrennen, rechtzeitig zum Ende ihrer Elternzeit einen Betreuungsplatz zu finden. Und oft genug klappt es eben nicht. Auch in Duisburg weiß man jetzt schon, dass am 1. August 2013 der Rechtsanspruch nicht erfüllt werden kann. Für gerade einmal 29 Prozent der unter Dreijährigen wird es einen Platz geben, angestrebt sind landesweit 32 Prozent. Diesen Bedarf hatte das Jugendinstitut München für NRW errechnet. „Das schaffen wir nicht. Aber wir haben von Anfang an auf Tagesmütter gesetzt, bilden intensiv aus und haben dadurch die Zahl der von ihnen betreuten Kinder in den vergangenen drei Jahren von zweihundert auf achthundert steigern können“, sagt der Duisburger Jugendamtsleiter Thomas Krützberg.

Das Jugendamt zahlt Tagesmüttern vier bis fünf Euro pro Kind pro Stunde und liegt damit über dem bundesweiten Schnitt, der deutlich unter vier Euro liegt. Dem Bundesverband Kindertagespflege ist das zu wenig. Der hatte bereits 2004 5,50 Euro als Richtlinie empfohlen. Davon sind viele Kommunen bis heute weit entfernt. „Wenn wir da nicht zu vernünftigen Regelungen kommen, zu existenzsichernden Löhnen, springen uns die Tagesmütter ab. Das ist unsere Sorge“, sagt dessen Referent Klaus-Dieter Zühlke.

Durch das Bochumer Kinderhaus Lothringen flirrt die typische Nervosität der Gründungsphase: „Wird’s wohl funktionieren?“ Denn Simone Hammerschmidt und ihre Kollegin haben viel riskiert für ihre neue Existenz. Eines genießen sie allerdings schon jetzt: Endlich wieder im Team zu arbeiten, nicht mehr allein zu Hause.