Bochum.

Mitten hinein in die älteste Bochumer Arbeiterkolonie, die Siedlung Stahlhausen, brachte Marie Post, Ehefrau von Albert Post, einst ein Zwillingspärchen zur Welt, Lieselotte und Anneliese. Albert Post, gestandener Schlosser in der Waggonfabrik des Bochumer Vereins, wohnte mit seiner jungen Familie in der Capellestraße 3, wenige Meter Luftlinie vom Tor 5 des gewaltigen Gussstahlwerks entfernt. Marie und Albert Post sind schon vor vielen Jahren gestorben. Doch Lieselotte und Anneliese, die Zwillinge aus Stahlhausen, sie leben. Am 21. Juli 1920 wurden sie geboren. Heute feiern sie also ihren 90. Geburtstag.

Ihre Welt im „Blaubuchsen-Viertel“, wie der Volksmund die Arbeitersiedlung im Schatten der Fabrik lange nannte, ist längst untergegangen. Doch Lieselotte Dabow, geb. Post, sieht heute noch vor ihrem inneren Auge, wie sie als Kinder, mitten unter vielen anderen Kindern, von Autos unbehelligt, in der Kolonie mitten auf den Straßen spielen konnten. Es waren eher staubige Wege, denn der Asphalt sollte erst viele Jahre später kommen. Ziegen oder entlaufene Stallhasen stromerten zwischen den Häusern herum.

„Jeden Tag waren wir draußen, haben geknickelt oder Peitschen-Dopp gespielt und nicht so wie heute vor der Glotze gesessen, die gab es damals ja noch gar nicht“, erinnert sich Lieselotte an ihre Kinderzeit vor dem Krieg (Anm. d. Red. knickeln, umgangssprachlich für das Spielen mit Murmeln, Peitschen- oder Pitschen-Dopp, altes Kinderspiel, bei dem mit einer Peitsche ein Holzkreisel in Bewegung gehalten wird). Die Arbeiterhäuser hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen kleinen Stall, die Toilette, das Plumpsklo befand sich ebenfalls draußen.

Von den ehemals sechs Kindern der Großfamilie lebt außer den Zwillingen und heutigen Geburtstagskindern Lieselotte und Anneliese, die mittlerweile in Witten lebt, noch der jüngere Bruder Friedrich Wilhelm, der in Norddeutschland lebt.

Lieselotte Post heiratete kurz nach dem Krieg in Bochum Kurt Dabow. Vor sechs Jahren feierten sie noch mit Kutsche ihre Diamantene Hochzeit. Heute lebt das Paar bescheiden in einer Mietwohnung im Ehrenfeld. Neulich haben sie in der Zeitung einen Artikel über die Siedlung Stahlhausen, die mittlerweile unter Denkmalschutz steht, gelesen. Vielleicht werden sie sich das alles noch einmal ansehen. Denn gut zu Fuß sind sie noch.

Das Geheimnis, dass das Ehrepaar auch im hohen Alter so fit ist, verraten beide augenzwinkernd: „Wir sind beinahe täglich draußen in unserem Schrebergarten, bei jedem Wetter, das hält jung.“ Damit auch der Reporter etwas von diesem Jungbrunnen hat, durfte er selbstgemachte Himbeermarmelade mit Früchten aus diesem Garten mit nach Hause nehmen.