Der Bochumer Sozialberater Norbert Hermann beklagt die umfangreiche Datensammlung der Bochumer ARGE für die Erstattung der Kosten der Unterkunft. "Vorratsdatensammelwut" wirft Hermann der Behörde vor. Die aber weist die Vorwürfe zurück.

Wer in Bochum Leistungen nach Hartz IV bezieht, muss sich allerhand Fragen gefallen lassen. Um sich etwa die Kosten der Unterbringung erstatten lassen zu können, muss eine vom Vermieter ausgefüllte „Mietbescheinigung” vorgelegt werden. Ist das Bad bis zu einer Höhe von 1,60 Metern voll verfliest, liegt ein Echtholzparkett auf dem Fußboden, verbindet eine Gegensprechanalge die Wohnung mit der Außenwelt? Zuviel des Guten, findet der Bochumer Sozialberater Norbert Hermann von der „Unabhängigen Sozialberatung”, er wirft Stadt und ARGE „ungezügelte Vorratsdatensammelwut” vor.

Sozialberater Norbert Hermann.
Foto: Karl Gatzmanga
Sozialberater Norbert Hermann. Foto: Karl Gatzmanga © WAZ

„Die Behörde muss begründen, warum sie all diese Daten benötigt und warum sie nicht mit der Vorlage eines Mietvertrages und eines aktuellen Kontoauszuges zufrieden ist”, meint Norbert Hermann. Er führt ins Feld, dass dies bei anderen „ARGEn” üblicher und unkomplizierter Usus sei. Neben den vielen Fragen zu Ausstattung der Wohnung und Zusammensetzung des Mietzinses stößt dem Anwalt auch auf, dass die Bankdaten des Vermieters abgefragt werden.

ARGE: Angemessene Datenerfassung

Mit Sammelwut habe das nichts zu tun, argumentiert dagegen Carsten Jahn, im Büro der ARGE-Geschäftsführung für grundsätzliche, leistungsrechtliche Fragen zuständig. Es würden nur solche Daten erhoben, die zur Berechnung der tatsächlich zu zahlenden Leistungen nötig sein. „Der Steuerzahler, aber auch die Leistungsbezieher selbst, haben schließlich einen Anspruch darauf, dass die gewährten Leistungen möglichst exakt ausfallen”, stellt er fest.

Ausgelöst wird das Problem letztlich durch eine schwammige Formulierung des Gesetzgebers. „Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind”, heißt es in §22 des SGB II. Was aber „angemessen” ist, mag in Bochum eine ganz andere Sache sein als in Hannover, Rostok oder München. „Angemessenheit” in greifbare Werte, also Euro, zu fassen, ist Aufgabe der Kommune.

Die "Produkttheorie"

In der Regel wird dazu nach der „Produkttheorie” der ortsübliche Mietspiegel herangezogen. Über Quadratmeterpreis und zustehenden Wohnraum wird eine abstrakte Mietpreisobergrenze definiert”, erläutert Jahn. Die hängt nicht nur von dem ab, was finanziell zumutbar ist, es muss auch genug Wohnraum in dieser Kategorie zur Verfügung stehen. 4,96 Euro beträgt dieser Wert in Bochum, bei einem Bedarf von 45 Quadratmetern für eine Person ergibt sich ein Richtwert von 223,20 Euro.

Doch der Mietspiegel definiert sich nicht nur über die Wohnungsgröße. Zusätzliche Ausstattungsmerkmale erhöhen den Wert der Wohnung und damit den Mietzins, eine Gegensprechanlage ist 6,15 Euro wert, die Balkonnutzung 8,83 Euro. Genau so kann der Wert etwa durch ein WC nur auf dem Flur wieder sinken. Außerdem hat die Ausstattung Einfluss auf die Betriebskosten. Fehlende Isolierverglasung steigert die Heizkosten, ein Uralt-Badezimmer den Wasserverbrauch.

Steuerzahler muss nicht jeden Posten zahlen

„Nur durch konkrete Daten können wir einem Leistungsbezieher begründen, warum ein Umzug als unangemessen abgelehnt wird”, rechtfertigt Carsten Jahn die umfangreiche Daten-Erfassung. Außerdem könnten Posten in der Miete stecken, eben besondere Luxusausstattung oder auch Kabelfernsehen, für die die Allgemeinheit kaum zur Kasse gebeten werden dürfe. Wer daher bestimmte Daten verweigert, sprich im Formular offen lässt, hat damit nicht automatisch mit Kürzung und Verweigerung von Leistungen zu rechnen. Doch gerade wenn die Miete den Regelsatz überschreitet, muss man mit Nachfragen der ARGE rechnen.

Prüfverfahren des Landesdatenschutzbeauftragten

Bettina Gayk, Pressesprecherin des Landesdatenschutzbeauftragten NRW, bestätigte gegenüber der WAZ, dass die Behörde nach einer Eingabe aus Bochum nun eine Prüfung des Fragenbogens vornehmen werde. In dem Verfahren werden Stadt und ARGE um Stellungnahme gebeten. Die Düsseldorfer Behörde wird dann klären, wie der Fragebogen im Alltag eingesetzt wird und ob alle erhobenen Daten tatsächlich nötig sind. Dies gilt auch für die Frage nach den Bankdaten des Vermieters, die im Bochumer Bogen ebenfalls enthalten ist.

Bedenken zur Sicherheit der Daten scheint es dagegen keine zu geben. Nach Angaben der Bochumer ARGE sind die Daten aus den Mietbescheinigungen vollkommen sicher und würden auch nicht zweckentfremdet. „Alle Zahlen sind Teil der Leistungsakte und dürfen auch nur zur Klärung von Leistungsansprüchen genutzt werden”, sichert Carsten Jahn zu. Andere Ämter hätten mit ihrer Software nicht einmal Zugriff auf die Datensätze.