Bochum. Immer häufiger müssen Stadt und USB wilde Müllkippen in Bochum entsorgen. Die Kosten überschreiten 2012 voraussichtlich die Milliongrenze. Doch kaum ein Umweltsünder wird zur Kasse gebeten.

„Treffer.“ Martina Gronau zupft mit ihren Handschuhen einen Schriftsatz einer Anwaltskanzlei aus dem Unrat. Es geht um eine Privatinsolvenz. Name und Adresse des Mandaten finden sich auch auf verdreckten Briefumschlägen wieder. Martina Gronau fotografiert die Dokumente mitsamt des Abfallhaufens. Die Außendienstlerin des Umwelt- und Grünflächenamtes ist zufrieden. Ein Umweltsünder scheint ertappt. Das passiert selten genug.

„Papier ist gut“, weiß Martina Gronau. Seit 21 Jahren ist sie im Auftrag der Stadt den Nunkies auf der Spur: den Nacht- und Nebelkippern, die ihren Müll in Wäldern und Grüngebieten ablagern. Tüten und Säcke mit Hausmüll, Möbel, Gartenabfälle, Bauschutt, rostige Räder, Fernseher, Reifen und Kühlschränke, Reste von Wohnungsrenovierungen: Meist fehlt jeder Hinweis auf den Verursacher. Nur wenige Schmutzfinken sind nicht nur dreist, sondern auch dumm – und werfen mit ihrem Abfall auch Briefe, Kontoauszüge oder Werbepost mit Adressaufklebern in die Natur.

Ein ideales Revier für Umweltfrevler

Am Umwelttelefon im Rathaus wurde ein wilde Kippe an der Kohlenstraße gemeldet. Martina Gronau kennt sich bestens aus. Ein kleines Grünareal im Gewerbegebiet, kaum belebt, von der Straße nicht einsehbar: ein ideales Revier für Umweltfrevler. Hier an der Kohlenstraße fahren sie regelmäßig mit ihren Autos vor. Ex und hopp wird abgeladen, fix wird Gas geben. „Erst kürzlich wurde hier alles saubergemacht. Und jetzt? Schauen Sie sich um!“, weist Martina Gronau auf den Müll- und Scherbenhaufen.

„Papier ist gut.“ Und davon immerhin gibt’s hier reichlich. Mit Handschuhen und detektivischem Spürsinn sucht die erfahrene Angestellte nach Briefen, Unterlagen, Postsendungen. Mit Erfolg. Die Beweismittel werden sichergestellt und ans Rechtsamt übergeben. Familie B. an der Gahlensche Straße wird demnächst Post bekommen. Sie erwartet eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Abfallgesetz. Das Bußgeld wird sich zwischen 150 und 250 Euro bewegen.

Ein seltener Glücksfall für Mutter Natur. Jährlich sind es zehn bis 15 Verfahren, die die Stadt wegen illegaler Abfallentsorgung anstrengt. Und das bei 1680 wilden Müllkippen, die der Verwaltung im vergangenen Jahr gemeldet wurden.

Strafen scheinen keine Abschreckung zu sein

Martina Gronau geht dem nächsten Hinweis nach. An der Engelsburger Straße, hinter dem Bogestra-Betriebshof, wiegt sich ein Wäldchen im sanften Sommerwind. Doch der schöne Schein trügt. An einem Zaun stehen ein Uralt-Fahrrad Marke „Matador“ und ein kaputter Kinderwagen. In den Büschen entlang des Weges zum Hundeplatz müffeln Dutzende Mülltüten, Plastikabfälle und jede Menge weiterer Unrat vor sich hin. „Hier kommt vor allem abends kaum ein Mensch hin. Deshalb ist diese Stelle bei den wilden Kippern besonders ,beliebt’. Erschreckend’“, rümpft Martina Gronau die Nase.

Wie man den Nunkies Herr werden kann? Dezernentin Diane Jägers kann keine Antwort geben. Strafen scheinen keine Abschreckung zu sein. Überwachungen? Nicht erwünscht, zu teuer. „Wichtig wäre die soziale Kontrolle, zumindest dort, wo Menschen leben und arbeiten.“ Martina Gronau indes hat auch diese Hoffnung beinahe aufgegeben. An der Alleestraße, mitten im Wohngebiet, wurde neulich ein Teil einer Schrankwand auf den Bürgersteig gestellt. Hinweise von Anwohnern: null. „Dabei muss das doch jemand gesehen haben“, so die Außendienstlerin, die wenig später erneut vor Ort war. Wieder stand eine Schrankwand auf dem Gehweg. Diesmal war es der andere Teil.

1680 Hinweise auf wilde Müllkippen

1680 wilde Müllkippen wurden dem Umwelt- und Grünflächenamt 2011 gemeldet. Tendenz: stark steigend. Seit Jahresbeginn gingen bereits 853 Hinweise ein. „Die Bürger“, betont Ordnungsdezernentin Diane Jägers, „werden immer aufmerksamer. Und das ist auch gut so.“

Die Beseitigung des Unrats belastet die Gemeindekasse (und damit jeden Steuerzahler) erheblich. 877.000 Euro stellte der USB der Stadt 2011 in Rechnung. 2012 wird mit einem Überschreiten der Milliongrenze gerechnet.

Gern würde sich die Stadt die Kosten bei den Verursachern wiederholen. Doch die Ausbeute ist mager. Nur zehn bis 15 Verfahren werden jährlich wegen eines „Verstoßes gegen das Kreislaufwirtschaftsabfallgesetz“ eingeleitet.

Wer Widerspruch einlegt, bleibt in der Regel straffrei

„Das Problem ist die Beweisführung“, berichtet Stephan Heimrath vom Rechtsamt. Auf frischer Tat werde so gut wie niemand ertappt. Nur in seltenen Fällen gelingt es, die mutmaßlichen Verursacher durch im Müll gefundene Hinweise (Bericht oben) ausfindig zu machen. Eine Adresse reicht, um ein Verfahren zu eröffnen.

Die Beschuldigten erhalten einen Anhörungsbogen. „Der wird zumeist nicht beantwortet“, so das Rechtsamt. Folge: ein Bußgeldbescheid über 150 bis 250 Euro, zahlbar bei Bedürftigkeit in Monatsraten ab 5 Euro. Wer Widerspruch einlegt, bleibt in der Regel straffrei. Siehe oben: die Beweisführung...

Diane Jägers spricht von einer „gewissen Hilflosigkeit“. Resignation vor der weit verbreiteten Umweltverschmutzung (auch auf den Straßen, in Parks oder beim Hundekot) sei jedoch fehl am Platze. „Wir dürfen nicht aufhören, an die Verantwortung für die Natur, für die Stadt zu appellieren!“ Auch soziale Kontrolle sei wichtig.

Sparzwang trifft auch die Umwelt

Von einer Kontrolle, etwa durch Kameras, will die Dezernentin nichts wissen. „Das ginge in Richtung Law-and-Order-Staat.“ Zudem sei einer Überwachung kaum zu finanzieren.

Apropos Geld: Der Sparzwang der Stadt traf und trifft auch den Umweltbereich. Die Zahl der Außendienstler, die für wilde Müllkippen zuständig sind, wurde von vier auf zwei reduziert. Das Umwelttelefon ( 910 23 56) ist mangels Personal demnächst nur noch zeitweise besetzt. Ein Anrufbeantworter kommt zum Einsatz.