Bochum.Frank Goosens neuer Roman „Sommerfest“, erschienen bei Kiepenheuer und Witsch, spielt so explizit wie keines seiner anderen Bücher in Bochum.

„Das war unser Woodstock!“. Das sagt der Bochumer Autor Frank Goosen zum Kulturhauptstadt-Event im Sommer 2010 auf der A40. „Das war einzigartig und sollte deshalb nicht wiederholt werden“. In seinem Roman „Sommerfest“ geht es den Protagonisten an einem der vielen kulturell motivierten Tischen auf der Autobahn aber emotional und körperlich nicht so prickelnd. Geschweige denn, dass sie der sommerlichen Aktion eine weltgeschichtliche Bedeutung zuzumessen bereit sind. Vielmehr haben alle mit einem mehr oder weniger heftigen Kater zu kämpfen. Und mit den anderen Ereignissen der Nacht zuvor. Die hatte es nämlich in sich.

Eine Reihe alter Freunde

Doch von Beginn an: Stefan Zöllner kommt am Anfang des Romans nach zehn Jahren zurück nach Bochum. Der in München arbeitende Schauspieler - Running Gag im Buch: „Muss man den kennen?“- „Nein, der ist am Theater“ - will sein Elternhaus verkaufen, nachdem ein letzter darin wohnender Bekannter gestorben ist. Innerhalb zweier Tage trifft er auf eine ganze Reihe alter Freunde. Und auf eine alte Liebe.

Auf verschlungenen Wegen

In diesen beiden Tagen bewegt sich Goosens flott und im Präsens erzählte Geschichte auf verschlungenen Wegen durch Bochum (ausgenommen: ein Abstecher nach Dortmund). Wer die Stadt kennt, kann die Tour de Ruhr der Figuren quasi wie auf einem Stadtplan nachvollziehen. Deutlich wiedererkennbar, wenn nicht gar explizit als Handlungsorte genannt, sind etwa der Bismarckturm, die Zeche Hannover, der Stadtpark, die Schmechtingwiese, das ehemalige Freie Kunst Territorium an der Diekampstraße, ein Kiosk am Imbuschplatz oder die Tanksteller auf der Alleestraße. Hier, entlang touristisch eher gar nicht erschlossener Orte, entfaltet der Autor sein Figuren-Panoptikum: Das autobiografische Moment teilt Goosen dabei geschickt auf zwei Personen auf: den künstlerisch-verwirrten Stefan und einen Frank (sic!) Tenholt, der zwei Fußball-spielende Kinder, eine klug-schöne Frau und einen Uni-Abschluss in Geschichte hat. Aus dem wurde im Buch der Chef eines industrie-kulturellen Museums auf einem alten Zechengelände.

Die weise „Omma“

Stefans Love-Interest ist Charlie, eigentlich Charlotte, eine blond gelockte Sandkastenfreundin, Enkelin eines Wirtes, der einst auf dem Jahrmarkt als Boxer mit dem Beinamen „Der masurische Hammer“ bekannt war. Des Weiteren begegnet der Held den Kleinkriminellen Toto und Diddi, dem Berufsjugendlichen Thomas mit seiner ebenso blutjungen wie altklugen Freundin Mandy, einem jungen türkischen Fußballer, der womöglich Profi-Karriere macht, dem Bochumer Sänger Tommy Finke („Da steht ein junger Mann mit wirrem Haar, einer Gitarre um den Hals und einer Mundharmonika vor dem Mund wie Robert Zimmermanns Wiedergänger, aber der junge Robert Zimmermann, Greenwich Village, 61,62, Geschichte wiederholt sich, wenn nicht als Farce, dann als Zitat“) und natürlich seiner überaus weisen Omma in ihrer „Altersresidenz“. Und allerhand weiterem Ruhrgebiets-stereotypen Personal.

Melancholie überwiegt

Während in manch’ früherem Werk von Goosen gelegentlich sehr kräftig auf die lokalkoloritische Humortube gedrückt wurde, überwiegt in „Sommerfest“ eine fast schon altersmilde Melancholie. Die wird vor allem durch die Perspektive des „Rückkehreres“ ermöglicht, der allein in seiner Person eine erfahrungssatte Außenperspektive auf die Region ermöglicht, die aber durch die unveränderbare Verwurzelung in der Stadt konterkariert wird. Der so entstehende exakt niedergeschriebene Zwiespalt zwischen Fremd- und Eigenwahrnehmung macht „Sommerfest“ zu einem nicht nur lustigen, sondern auch reflektierten Buch über eine Region und besonders über eine Stadt: Goosen hat dem aus der proletarischen Vergangenheit entwachsenen bürgerlichen Bochum ein beeindruckendes Generationenporträt geschenkt. Und dieses sehr konkret in die Stadt hinein geschrieben. Um es mit Goosens aktueller Lieblingsvokabel zu sagen: astrein.