Bochum.

Von Sibirien kommt sie, die bittere Kälte, die Bochum fest in ihrem eisigen Griff hält. Die Wetterstation in Sundern registrierte am Donnerstagmorgen frostige zwölf Grad unter dem Gefrierpunkt. Brrrrrrrrr! Einen Kilometer entfernt in Stiepel waren es immerhin „muckelige“ 9,8 Grad unter Null. Am Freitag könnte Schneefall erschwerend dazu kommen.

Grund genug, gut vorbereitet zu sein. Polizeistreifen sind gehalten, Menschen, die bei dieser Kälte draußen übernachten, ins Warme zu bringen. „Wir halten die U-Bahnstation unter dem Hauptbahnhof nachts geöffnet. Menschen, die nicht wissen, wo sie sonst schlafen können, haben dort einen Ort“, so Bogestra-Sprecherin Sandra Bruns. Das Service-Personal sei angewiesen, niemanden abzuweisen. Bedingung: Jedermann müsse sich friedlich verhalten.

Gut zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass ein Obdachloser bei ähnlichen Temperaturen in Bochum erfroren ist. „Ich erinnere mich gut daran. Unsere Mitarbeiter hatten noch mit dem Mann gesprochen. Aber er wollte partout draußen bleiben“, erzählt Gerlinde Fuisting, die die Obdachlosenberatung der Diakonie seit vielen Jahren leitet.

Wärmestube in der Suppenküche

Sie weiß von gut einer Handvoll Menschen, die trotz der gefährlich niedrigen Temperaturen lieber im Freien schlafen als im Fliedner-Heim neben dem Stadion. Erweitert hat im Winter auch die Suppenküche an der Arndtstraße ihr Angebot. „Wir haben bis zum März zusätzlich eine Wärmestube eingerichtet“, berichtet Mitarbeiter Norbert Schwittek. Zur Zeit kommen etwa 130 Menschen täglich zu den Mahlzeiten.

Bochum sei ausreichend versorgt mit Notschlafstellen. Es gibt etwa 30 Übernachtungsplätze für Männer und acht für Frauen. „Bei Bedarf können zusätzliche Matratzen auf den Boden gelegt werden“, so Fuisting. Polizeisprecher Guido Meng sagt: „Wann immer eine Streifenwagenbesatzung einen hilflosen Menschen antrifft, wird reagiert: Wir lassen niemanden draußen liegen.“ Zur Not gebe es das Polizeigewahrsam, in das der Betroffene selbst gegen seinen Willen gebracht werden könne.

Probleme mit Mülltonnen

Gut versorgt mit Thermo-Unterwäsche arbeitet Markus Hecker in diesen Tagen beim Umweltservice Bochum (USB): „Wir bitten aber unsere Kunden um Verständnis, dass die Müllbehälter nicht immer komplett geleert werden können. Oft sind Reste an den Tonnen festgefroren.“ Sein Tipp: zunächst etwas Zeitungspapier unterlegen, das helfe oft gegen das Festfrieren.

USB-Sprecher Jörn Denhardt schiebt eine Entschuldigung hinterher: „Unsere Groß- und Kleinkehrmaschinen können bei diesen Temperaturen leider nicht eingesetzt werden.“ Sie alle arbeiteten mit Wasser, erklärt er. Da aber nach Markttagen trotzdem die Plätze gereinigt werden müssen, lautet beim USB die Devise: Rückkehr zur guten, alten Handarbeit. Und das bedeute Einsatz für die Straßenbesen.

Trotz Kälte: Im Ostring-Gymnasium demontiert Christopher Petersmann  Heizkörper. Foto: Olaf Ziegler
Trotz Kälte: Im Ostring-Gymnasium demontiert Christopher Petersmann Heizkörper. Foto: Olaf Ziegler © WAZ FotoPool / Olaf Ziegler

Abrissarbeiten an altem Gymnasium gehen weiter

Szenewechsel. Bei den Abrissarbeiten am ehemaligen Gymnasium am Ostring unter freiem Himmel lassen sich Christopher Petersmann und Detlef Margraf nicht stören. Nur während der Pausenzeit wärmen sie sich für ein paar Minuten im Baucontainer auf. Vor allem Detlef Margraf spürt die Kälte: „Wenn ich in sechs, sieben Meter Höhe an der Fassade arbeite, weht da schon ein eisiger Wind.“ Wann denn die Arbeit ruhe? „So weit sind wir noch lange nicht“, antwortet Petersmann, der gerade in den alten Schülertoiletten die Heizkörper demontiert. An einer anderen Baustelle in der Innenstadt, dem Kortum-Karree, arbeitet der Werbegrafiker Andreas Rippelmeier. „Eigentlich braucht diese Folie rund 9 Grad plus zum Verarbeiten. Aber . . .“, er zuckt nur die Schultern.

Nur ein paar Meter weiter um die Ecke auf der Kortumstraße hockt Rolf-Dieter Rottfeld auf seinem zusammen gerollten Schlafsack auf dem Pflaster und bettelt. Der gelernte Werkzeugmacher hat schon seit Jahren keinen Job, seit einiger Zeit auch keine Wohnung. Er will auch die Nacht unter freiem Himmel verbringen. Auf die Gefahren angesprochen: „Ich geh in keine Unterkunft. Ich hab’ woanders mein bestimmtes Plätzchen. Außerdem verträgt mein Schlafsack minus 20 Grad Celsius.“

Keine Erfrierungen bisher

Der Arzt Dr. Reinold Müller arbeitet ehrenamtlich bei der Medizinischen Hilfe. Sie bietet an verschiedenen Stellen Sprechstunden für Obdachlose oder Menschen, die sich woanders nicht untersuchen lassen wollen, an: „Jetzt während der feuchtkalten Zeit hatten wir vermehrt Menschen mit Erkältungskrankheiten. Bisher gab es noch keine Fälle von Erfrierungen.“ Er kenne etliche Obdachlose, die sich schützen und trotz der Gefahren lieber draußen übernachten. Wenn allerdings jemand Alkohol konsumiert habe, kühle der Körper schneller aus und Erfrierungen drohen. Vor allen an Füßen und Beinen.

Seinen siebenjährigen Enkel Leon holt Rudolf Egert auch bei diesem Wetter mit dem Fahrrad von der Schule ab. Die Kälte stört ihn nicht: „Ich stamme aus dem Eichsfeld, da hatten wir noch viel kältere Winter.“ Den Jack-Russell-Terrier „Flöckchen“ ihres Enkelkindes Juliane führt Rentnerin Christine-Marie Wozniak aus. Da das Tier kein Unterfell hat, muss es mit einem Hundemantel vor der Kälte schützt werden. „Ich mache das regelmäßig. Seitdem bin ich nicht mehr krank.“