Bochum.

Ein hässliches 70er-Jahre-Mosaik im Parterre stört die Gründerzeitfassade des Hauses Hattinger Straße 798 im Herzen Lindens nachhaltig. Doch Dawn Kershaw, geb. Adler, hat dafür kaum ein Auge an diesem klaren Novembermittag. Es ist das Haus ihrer Großeltern, das ihr Vater Horst-Walter Adler Anfang 1940 verlassen musste. „Ich musste einfach kommen“ – gemeinsam mit ihrem Mann David. Und das ganz kurz entschlossen.

Das Haus gehörte ihrer Familie, einer jüdischen Familie. Vor der Haustür erinnern zwei Stolpersteine an die Menschen, die hier lebten. Es sind Stolpersteine für ihren Großvater Alexander Adler, der nach der Pogromnacht ins KZ Sachsenhausen verschleppt wurde und wenige Tage nach seiner Rückkehr 1938 im Ev. Krankenhaus Linden an einer Blutvergiftung starb.

Entzündung wurde nicht behandelt

Dr. Hubert Schneider, der den Besuch vermittelte, fand bei seinen Recherchen zur Geschichte der Familie heraus, dass Alexander Adler starb, weil die Nazis verhinderten, dass seine im KZ Sachsenhausen entstandene Entzündung der Hand behandelt wurde. Der zweite Stolperstein erinnert an Dawn Kershaws Ur-Großmutter, Sophie Röttgen, geb. Wolff, die 1942 zunächst mit einem Transport nach Theresienstadt kam. Im gleichen Jahr wurde die damals 84-Jährige, greise Frau im Todeslager Treblinka ermordet.

Dawn Kershaw kommt nicht zum ersten Mal nach Bochum, und doch schießen ihr die Tränen in die Augen, wenn sie erzählt, wie ihr Vater wenige Tage vor seinem Tod zum ersten Mal über seine Wurzeln in Bochum gesprochen hat. „Er hat sich dann an den örtlichen Rabbiner bei uns in Manchester gewandt. Obwohl er sein Judentum eigentlich gar nicht praktiziert hat“, erzählt Dawn Kershaw. Er wollte ein jüdisches Begräbnis.

Das Archivbild (Reprografie vom 22. November 2011) zeigt den Vater (3. v.r. stehend) von Dawn Kershaw, den gebürtigen Bochumer Horst Walter Adler. Foto: Ingo Otto
Das Archivbild (Reprografie vom 22. November 2011) zeigt den Vater (3. v.r. stehend) von Dawn Kershaw, den gebürtigen Bochumer Horst Walter Adler. Foto: Ingo Otto © Ingo Otto / WAZ FotoPool

Flucht auf dem letzten Schiff

Ihr Vater, Horst Walter Adler: Im Alter von 14 Jahren kam er zusammen mit fünf anderen jüdischen Kindern aus Bochum auf den holländischen Frachter SS Bodegraven. Am 14. Mai 1940 verließ der Frachter mit mindestens 66 Flüchtlingskindern den niederländischen Hafen Ijmuiden. Schon unter dem Maschinengewehrfeuer der einrückenden Wehrmacht gelang es dem Kapitän, nach Liverpool, England durchzukommen. Es sollte das letzte Flüchtlingsschiff sein, das den Kanal überquerte.

Als Dawn gerade ein Jahr alt war, trennte sich ihr Vater von seiner englischen, nichtjüdischen Frau Ann; bei der Dawn aufwuchs. Erst 18 Jahre später sollte sie den Vater wiedersehen.

Liste eines Todestransports nach Treblinka

Ihre Großmutter Else Adler, Witwe des 1938 an einer im KZ Sachsenhausen erlangten Blutvergiftung verstorbenen Alexander Adler überlebte mit ihrer Schwester Irma im französischen Untergrund. Schon vorher hatten sie noch von Bochum aus über französische Kriegsgefangene den Kontakt mit der Resistance aufgebaut.

Im Stadtarchiv erzählen Archivar Andreas Halver und Dr. Hubert Schneider, welche Informationen es gibt über diese Familie. Sie erzählen und Schneider zieht irgendwann aus einem Hefter die Kopie einer Liste heraus. Es ist die Liste eines Todestransports nach Treblinka. Unter der Nummer 732 vom 23. September 1942 steht der Name Sophie Röttgen. Das letzte Dokument von Dawns Urgroßmutter als lebendige Frau – ein Dokument ihres Todes.

Synagoge in Bochum eingeweiht

Impressionen von der Einweihung der jüdischen Synagoge in Bochum. (Bilder: WAZ / Ingo Otto)
Impressionen von der Einweihung der jüdischen Synagoge in Bochum. (Bilder: WAZ / Ingo Otto) © WAZ
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