Bochum. "Wir haben alles, was Sie brauchen. Was wir nicht haben, brauchen Sie auch nicht" - Trinkhallen im Ruhrgebiet sind ein Mikrokosmos zwischen Fruchtgummis und Soleiern. Eine Foto-Ausstellung auf Zeche Hannover widmet sich gemischten Gefühlen und gemischten Menschen bei gemischten Tüten.

Sie sind die Heimat der weißen Mäuse. Hier werden bunte Tüten gemischt und Lakritzschnecken genascht. Hier fallen Kronkorken – und Entscheidungen. Denn Trinkhallen sind mehr als ein Verkaufsraum. Wer sich hier blicken lässt, ist oft in Plauderlaune, sucht Rat oder einfach nur Verständnis oder ein Lächeln. Das alles und vieles mehr über die Geschichte der urigen Lädchen ist ab Sonntag in der Fotoausstellung „Die Bude – Trinkhallen im Ruhrgebiet” im LWL-Industriemuseum der Zeche Hannover zu sehen. Die Herner Fotografin Brigitte Kraemer war zwei Jahre lang zwischen Lünen und Duisburg unterwegs und hat Trinkhallen sowie die Leute vor und hinter den Tresen fotografiert. 52 Bilder sind in der Zeche ausgestellt, 150 Fotos sind im Katalog zur Ausstellung veröffentlicht. Unter anderem aus Hordel, Stiepel und Hamme.

Der Strukturwandel bedroht die Buden

„Das Ruhrgebiet ist die Region mit der größten Trinkhallendichte in Deutschland”, sagt Museumsleiter Dietmar Osses. Vor zehn Jahren sollen es 18.000 gewesen sein, heute wohl einige weniger. Der Strukturwandel habe viele bedroht und zum Weggang geführt. Außerdem seien die längeren Öffnungszeiten vieler Supermärkte und die Tankstellen mit ihren Shops harte Konkurrenten der klassischen Büdchen, die seit den 50er Jahren die Funktion der Tante-Emma-Läden übernommen haben.

Die größte Entscheidung des Lebens

Wie lebhaft und mitreißend der Budenzauber aber auch heute noch ist, beweist die Ausstellung. Typische Szene: Der kleine Junge, er kann kaum laufen, blickt mit großen Augen über die viel zu hohe Theke. Er scheint vor der größten Entscheidung seines jungen Lebens zu stehen: Soll er seine 30 Cent Taschengeld in drei kleine Süßigkeiten zu je zehn Cent oder in eine dicke zu 30 Cent stecken? Hm.

Es ist das Menschliche, das den Reiz der Mini-Märkte und ihrer Möglichkeiten ausmacht. „Jeder verbindet Erinnerungen mit Trinkhallen”, sagt Fotografin Brigitte Kraemer, die in den zwei Jahren, in denen sie kioskmäßig unterwegs war, festgestellt hat, wie viele verschiedene Modelle es gibt: frei stehende, zwischen zwei Häuser gebaute, verfallene, verschnörkelte, klassische und moderne mit Telefonshop und Internet. „Manche entpuppen sich als Raumwunder mit Wohnzimmer, in dem sich ein ganzes Leben abspielt”, sagt Kraemer. Sie hat auch innen Fotos machen können, darauf sind Trinkhallenbetreiber im Unterhemd zu sehen, andere machen Nickerchen, die nächsten stricken. Es steckt viel Leben in der Bude.

"Was wir nicht haben, brauchen Sie auch nicht"

„Wir haben alles, was Sie brauchen. Was wir nicht haben, brauchen Sie auch nicht.” So steht es auf einem Schild an einer Trinkhalle zu lesen. Hannelore Thunig kann das bestätigen. Sie leitet selbst so einen Kiosk, und zwar mit viel Einsatz und Liebe. Bei ihr gibt es selbst eingelegte Soleier, ein Glas mit Rollmöpsen und Tipps, aus denen Lebenserfahrung spricht. „Mittags kommen die Kinder und erzählen mir ihre Schulsorgen, abends kommen gestresste Büromenschen, die schnell noch einen Pikkolo kaufen und sich dann in Richtung Badewanne verabschieden.”

Die Buden im Ruhrgebiet – hier treffen sich gemischte Gefühle und gemischte Menschen bei gemischten Tüten.

Das Rahmenprogramm: Sonntag, 29. März, 11 Uhr Eröffnung; Sonntag, 5. April, 11 Uhr Lesung des Bochumer Autors Werner Streletz „Kiosk kaputt”; 19. April, 16 Uhr, Werkstattgespräch mit Fotografin Brigitte Kraemer; 3. Mai Ratz Fatz anne Bude – Zirkustheater (14 Uhr); 10. Mai, 18 Uhr, Vortrag: die Bude; 13. April und 24. Mai, 16 Uhr, Geschichts-Tour; 1. Juni, 16 Uhr, Finissage.

Mehr zur Ausstellung gibt es hier

Mehr zum Thema: