Bochum.
Die Zeit des Leidens beginnt mit einem Ziehen in der Leiste. Ein, zwei Jahre später schmerzt das Gesäß, das Aufstehen vom Stuhl oder aus dem Bett fällt schwer. Alsbald tut jeder Schritt weh; sogar die Ruhe bereitet Pein.
Der Verschleiß des Hüftgelenks zählt ab 65 zu den klassischen Alterserscheinungen. Entsprechend groß war das Interesse am 23. WAZ-Nachtforum Medizin. Über 200 Leser füllten am Donnerstagabend die Cafeteria des Knappschaftskrankenhauses Langendreer.
Die Deutschen werden immer älter. Die Orthopäden und Chirurgen haben alle Hände voll zu tun.
200 000 künstliche Hüften werden jährlich eingesetzt (davon jede zehnte Hüfte als Ersatz für ein vorhandenes Implantat). Der demografische Wandel hinterlässt weitere tiefe Spuren: „In den nächsten zehn Jahre wird eine Steigerung um 40 Prozent erwartet“, sagt Prof. Dr. Rüdiger Smektala, Leitender Arzt der Abteilung für Unfallchirurgie und Orthopädie im Knappschaftskrankenhaus, das jährlich 120 bis 150 Patienten mit einer neuen Hüfte verlassen.
Metallpfanne, Keramikkopf, Schaft: Wenn der natürliche Knorpelüberzug im Gelenk verschlissen ist und Knochen auf Knochen reibt, bedient sich die Medizin eines adäquaten Ersatzteillagers. Passgenau wird das Implantat im Knochenlager verankert. Vor allem bei jüngeren Patienten wird dabei die zementfreie Version bevorzugt. Sie vereinfacht später den Austausch, der je nach Alter, Gewicht und Lebensführung nach acht bis 15 Jahren erforderlich ist.
Ausdrücklich warnt Prof. Smektala vor „Modeerscheinungen“, die die einschlägige Presse gern als Wunderwaffe bewirbt. Ein kraft-, jedoch gefühlloser OP-Roboter („Robo-Doc“) habe üble Knochenverletzungen erzeugt und sei längst aus dem Verkehr gezogen; ein Oberflächenersatz für den Hüftkopf (ähnlich einer Zahnkrone) habe zu Oberschenkelhalsbrüchen geführt. Anbieter witterten das große Geschäft. Daher: „Vorsicht vor vermeintlich Neuem! Ein fundiertes Urteil kann erst nach Jahren der Erprobung abgegeben werden“, so Prof. Smektala. Die konventionelle Hüft-OP verheiße nach wie vor die größten Erfolgsaussichten. Nur bei drei von 100 Patienten treten Komplikationen, etwa Entzündungen, auf.
Die ersten Tage an Krücken sind schwierig. Es gilt nicht nur, sich an das künstliche Gelenk zu gewöhnen, sondern auch komplette Muskelgruppen neu zu entdecken. Nach drei bis sechs Monaten jedoch ist man zurück im Alltag. Die Lebensqualität, die durch die eingeschränkte Bewegungsfreiheit massiv gelitten hat, kehrt zurück. Fußball, Squash oder Tennis sind zwar problematisch, weil sie das Kunstgelenk allzu sehr beanspruchen. Schwimmen, Gymnastik, Nordic Walking oder (gemäßigtes) Radfahren sind aber ebenso erlaubt wie erwünscht.
Entgegen der einstigen Empfehlung des CDU-Youngsters Philipp Mißfelder („Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen“) hat jeder Krankenversicherte einen Anspruch auf eine Prothese, betont Prof. Smektala. Bei Kosten von durchschnittlich 12 000 Euro gucken die Krankenkassen allerdings genau auf die ärztliche Indikation, weiß man in Langendreer.
Die Empfehlung des Leitenden Arztes an alle Hüft-Leidenden ist gleichwohl eindeutig. Bei aller Scheu, mitunter Angst vor einer Operation und deren Folgen: „Die Alternative heißt Rollstuhl.“
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„Kommen Sie zu Fuß einmal um den Ümminger See?“ Wer die Testfrage der Orthopäden im Knappschaftskrankenhaus mit Nein beantwortet, kann den Rundgang möglicherweise bald mit einem künstlichen Kniegelenk antreten. Die steigende Lebenserwartung nagt nicht nur an immer mehr Hüften (Bericht oben), sondern eine Etage tiefer auch an den Knien.
„Alter und auch Übergewicht führen zu einem erheblichen Verschleiß der Kniegelenke. Hinzu kommen häufig Spätfolgen von Verletzungen, die Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen und nicht ausreichend behandelt wurden“, weiß Lukas Niggemann. Der Leitende Oberarzt der Klinik-Abteilung für Unfallchirurgie und Orthopädie spricht von einer rasant wachsenden Volkskrankheit: „Bundesweit werden pro Jahr 170 000 Knie-Prothesen eingesetzt. Jährlich steigt die Zahl der Eingriffe um 10 000.“
Der Verschleiß macht sich anfangs durch Schmerzen im Unterschenkel bemerkbar. „In vielen Fällen stellt der Einbau eines künstlichen Kniegelenks die beste Therapiemöglichkeit dar“, so Lukas Niggemann. Wie bei der Hüfte dreht sich hoch abriebfester Kunststoff auf Metall, verankert mit Knochenzement. Die Kniescheibe bleibt erhalten. Die Patienten haben eine 90-Prozent-Chance, dass die Prothese für 15 Jahre hält. Lockerungen, wie sie in den ersten Jahren häufig auftreten, können durch eine minimalinvasive OP (kleine Schritte) „repariert“ werden.
„Es dauert drei bis sechs Monate, bis die Patienten sagen: ,Jetzt ist es mein Knie’“, berichtet Niggemann. Das künstliche Gelenk lasse eine Kniebeugung von mindestens 100 Prozent zu. „Das reicht zum Radfahren.“ Maximal seien 130 Prozent möglich – zu wenig, um als Extremsportler aktiv zu werden, genug, um ein gutes Stück alter Bewegungsfreiheit zurück zu erlangen.
Auf zum Ümminger See!