Bochum.

. Die Bilder des Winters 2008, sie kommen wieder hoch. Die Lichterkette der Solidarität, die endlosen Sitzungen, der Flug nach Helsinki – Hoffnungen, die so schnell zerstört wurden wie sie aufkeimten. Gisela Achenbach und Ulrike Kleinebrahm telefonierten Donnerstagmorgen miteinander, da hatten sie gerade vom Aus für das Nokia-Werk im rumänischen Cluj erfahren. „Ich sehe sie noch da stehen, die vielen Menschen am Werkstor an jenem Morgen im Januar“, erinnert sich die damalige Betriebsratschefin Achenbach.

Vergleichbar nur mit der Kohlen- und später der Stahlkrise, brandete eine Protest - aber auch Solidaritätswoge über Bochum hinweg. Nachbarn brachten frische Brötchen, Würstchen, zig Pfund Kaffee oder Grillkohle zu den Solidaritätszelten vor dem Werkstor. Hunderte Nokia-Telefone wurden zertreten damals, Verzweiflung pur. Aber auch: „Diese vielen Gesten der Solidarität, die haben damals trotz allem sehr gut getan“, erinnert sich Achenbach.

Der Betriebsrat hat nicht umsonst gekämpft: Für Nokia kam die Werksschließung teuer. Rund 240 Millionen Euro flossen allein an Abfindungen und für die Transfergesellschaft aus Finnland. Davon profitierten nur die fest angestellten Mitarbeiter, über 1000 Leiharbeiter – fast ausschließlich Frauen – gingen leer aus.

Wenig überraschend für Insider

So groß ihr Mitleid mit der jetzigen Entwicklung in Rumänien, so wenig ist sie überraschend für alte Kämpen im Widerstand gegen die Schließung in Bochum. Frank Schubert, damals im Betriebsrat einer der Aktiven sagt zwar, dass er abgeschlossen hat mit dem Thema, die Nachricht aus Rumänien ihn nicht wirklich wundere: „Wir haben gehört, dass dort die Produktion zurück gegangen ist.“ Zuliefererbetriebe hätten sich gar nicht erst angesiedelt, Infrastruktur wie etwa neue Straßen sei nicht errichtet worden.

Und doch trifft die Nachricht die Rumänen wie ein Schlag: „Hier sind alle Menschen nur traurig. Wut zeigt bislang keiner.“ Bogdan Stanciu ist Chefeditor der Zeitung Adevarul in der Stadt Cluj, wo das Nokiawerk geschlossen wird. „Als das Unternehmen kam, keimten Hoffnungen auf, dass damit ein wirtschaftlicher Boom die Region erfasst. Nokia war drittgrößter Investor.“ Tatsächlich habe das weitere Firmen ermuntert, sich anzusiedeln, doch der Boom blieb aus. Viele Menschen blickten nun auf Bochum: „Sie ereilt zweitversetzt das gleiche Schicksal. Doch anders als in Bochum kommt hier kein Zorn auf Nokia auf.“ Soweit ihm bekannt ist, habe keiner der ehemaligen Bochumer Beschäftigten das Angebot angenommen, in Rumänien zu arbeiten. „Hier sind nur Einheimische beschäftigt. Die einzigen Ausländer sitzen im Vorstand.“

1300 Arbeitsplätze wieder auf dem Werksgelände

33 Millionen Euro musste Nokia vor zwei Jahren in das Programm „Wachstum für Bochum“ einzahlen. Das hatte die Landesregierung dem Unternehmen abgerungen. Das Geld stammt teils aus dem Verkauf des Geländes und aus Subventionen, die Nokia zurückzahlen musste. 20 Mio kamen vom Steuerzahler hinzu.

Mit diesem Geld sollten und sollen neue Arbeitsplätze in Bochum und der Region geschaffen werden. Die Essener Thelen-Holding hat das 103 Hektar große Gelände Ende 2008 gekauft. Wolfgang Thelen kündigte damals an, einen Gewerbepark entwickeln zu wollen mit mitelfristig 1000 Arbeitsplätzen. Bis heute gibt es laut Heinz-Martin Dirks, Leiter der Wirtschaftsförderung, bis zu 1300 Arbeitsplätze – die meisten wurden jedoch aus anderen Städten mitgebracht – auf dem ehemaligen Gelände und in der Forschung und Entwicklung.

Nach und nach kamen die ersten Erfolgsmeldungen über Firmen, die sich auf dem Areal ansiedelten: Scanbull Vertical Images, die dreidimensionale Scanner entwickeln, waren im August 2008 die ersten, die aufs Gelände kamen, noch bevor Thelen ins Spiel kam; 150 Arbeitsplätze waren angesagt.

2009 wurde bekannt, dass der Caterer Sodexo die alte Zentralküche des Handyherstellers bezog, um Mahlzeiten für Kitas und Schulen zuzubereiten. Die Firma Roeser verlegte ihren Sitz von Mülheim nach Riemke und beliefert Krankenhäuser mit Medizintechnik (260 Mitarbeiter).

2010 kam der Industriegas-Hersteller Air Products von Hattingen nach Bochum, brachte fast 200 Mitarbeiter mit. Einen großen Brocken bildete Unitymedia, das mit seinem Servicecenter und Call-Center mit 500 Mitarbeitern zu den bislang größten Einzelmietern auf dem Areal zählt.

Vor gut einem Jahr gab’s die Idee, mit der Stadt Herne auf dem Areal ein Gewerbegebiet zu entwickeln. Riemke und Hibernia messen zusammen 233 Hektar und wollen das Gelände auf Potenziale abklopfen. Bislang scheitern solche Vorhaben oft genug durch die Stadtgrenzen.