Bochum.

Das Wartehäuschen, das Bogestra-Schild, der Papierkorb: Die Haltestelle ist echt. Doch ein Bus wird hier niemals abfahren. Der Haltepunkt steht mitten im Garten eines Alten- und Pflegeheimes.

Als erstes Bochumer Seniorenzentrum hat das städtische „Haus an der Grabeloh“ einen Busstop-Dummie aufgestellt. „Viele unserer 200 Bewohner sind an Demenz erkrankt. Manche sind umtriebig und wollen ständig weg. Einige haben schon das Weite gesucht“, berichtet Leiter Theo Elbers.

Die ausrangierte Bogestra-Haltestelle soll der für Demenzpatienten typischen Fluchttendenz ein Schnippchen schlagen. „Die Bewohner lassen sich auf der Bank nieder und glauben, dass alsbald ein Bus kommt, der sie hier fortbringt. Dass das Warten vergeblich ist, dringt nicht mehr in ihr Bewusstsein. Doch beim Sitzen und Warten kommen sie zur Ruhe. Genau das ist das Ziel“, sagt Theo Elbers.

Der fiktive Halt soll verhindern, dass Demenzerkrankte das Heim auf eigene Faust verlassen. „Das kommt häufig vor, wenn sich die Menschen nicht wohl fühlen oder Angst haben“, weiß Christel Schulz, Mitarbeiterin der Alzheimer-Gesellschaft. Lediglich im Zillertal gebe es eine geschlossene Einrichtung. „Alle anderen Häuser sind offen. Und das ist gut so, auch wenn dadurch der eine oder andere Bewohner ausbüxt.“ Passiert sei in den letzten Jahren nie etwas. Christel Schulz: „Vielleicht haben diese Menschen einen besonderen Schutzengel.“

Auf himmlischen Beistand mag Ellen Rechner-Balke nicht vertrauen. Sie übt scharfe Kritik an der Kurzzeitpflege der Caritas in Riemke. In der vergangenen Woche wollte die Bochumerin fünf Tage Urlaub im Sauerland machen. Ihr demenzkranker Vater sollte derweil im Gästehaus St. Franziskus an der Tippelsberger Straße betreut werden. Dort, so heißt es im Internet, seien pflegebedürftige Eltern „in guten Händen“. Wenige Minuten vor der Fahrt in die Ferien stand Vater vor der Wohnungstür: in Begleitung eines Polizeibeamten, der den 88-Jährigen nach Hinweisen von Passanten kurz vor A 43-Auffahrt aufgelesen hatte. Ellen Rechner-Balke („Vater blieb bei uns. Der Urlaub hatte sich erledigt“) erkennt ein klares Versäumnis des Pflegeheims. „Als Erklärung hörte ich nur lapidar: Wir können ja nicht den ganzen Tag aufpassen.“

„So bedauerlich der Vorfall ist: Das kann vorkommen“, bittet Heimleiter Franz-Albert Bömkes um Verständnis. Als der 88-Jährige im Haus war, seien zwei Mitarbeiter für elf Gäste im Einsatz gewesen. „Das entspricht wie bei uns üblich dem Pflegeschlüssel.“ So sehr man sich bemühe: „Angehörige müssen wissen, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Wir dürfen und wollen die Türen nicht schließen. Wir sind kein Knast. Die wenigen Bewohner, die weggelaufen sind, sind alle wohlbehalten wieder aufgetaucht.“

Das bestätigt die Polizei. „Sobald wir eine Meldung erhalten, werden die Funkstreifen, Verkehrs- und Taxiunternehmen informiert. So gut wie alle gesuchten Altersverwirrten werden zeitnah aufgegriffen“, sagt Andreas Eickhoff, Leiter der Vermisstenstelle.

Nach Angaben der Alzheimer-Gesellschaft Bochum gibt es nur einen ungeklärten Fall: „Vor acht Jahren verschwand ein Demenzerkrankter plötzlich aus einer Wohngemeinschaft. Er ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.“