Bochum. Bundesweit hat der Fund von geheimen Krankenakten des Discounters Lidl in der Mülltonne einer Autowaschanlage Schlagzeilen ausgelöst. Die Bochumerin Regina Schultze schildert der WAZ, wie sie die heiklen Unterlagen entdeckt hat.

„Es muss so gegen 18 Uhr gewesen sein, es war noch nicht dunkel,” erinnert sich die Bochumerin Regina Schultze an ihren Fund der heiklen Lidl-Unterlagen Anfang März. An der Shell-Tankstelle Berliner Straße, Ecke Dorstener Straße in Herne hatte sie ihren Wagen in die Autowaschanlage fahren wollen. Doch andere Kunden waren noch vor ihr dran. Die Wartezeit habe sie daher genutzt, um Papier aus ihrem Auto zu entsorgen.

Papiere lagen in einer Mülltonne ohne Deckel

Geradezu einladend stand dafür ein eckiger schmaler Müllbehälter ohne Deckel bereit: direkt neben der Einfahrt zur Waschanlage, ausgeschlagen mit einem gelben Sack.

Doch als Regina Schultze ihren Abfall dort ablegen wollte, erblickte sie etwas Sonderbares: „Da lagen ganze Papierbündel mit Eintragungen drin, auch Krankenformulare. Links oben stand ,Krankenformular', rechts war der Schriftzug von Lidl, unten die Unterschrift des Verkaufsleiters.”

„Ich wühle normalerweise nicht in Mülltonnen herum,” lacht die blonde Frau. Aber bei diesem Fund sei sie sofort stutzig geworden. Spontan zog sie die Papierbündel aus der Tonne. Da sei sie schon überrascht gewesen, was da alles zutage kam: Das waren nicht nur die geheimen Krankenakten, auf denen Lidl-Beschäftigte mit Namen und Krankheiten registriert waren. „Da waren auch Lohnabrechnungen dabei, Kündigungen, Führungszeugnisse und Versorgungsbescheide vom Versorgungsamt Dortmund.” Weitere Papiere gaben einen tiefen Einblick ins finanziell Allerheiligste des Discounters – in die Umsatzabrechnungen. Regina Schultze: „Das waren aufgelistete Einnahmen von jeder Lidl-Filiale Deutschlands über eine Zeitspanne von Montag bis Samstag, aktuelle Unterlagen von Ende Dezember 2008 bis Anfang Januar 2009.”

Auch die Tageseinnahmen der Filialen waren verzeichnet

Wie aus den Papieren hervorgang, hatten die umsatzschwächsten Filialen einen Tagesumsatz „um die 10 000 Euro”, darunter habe gestanden: „Geht noch besser.” Die Spitzenreiter unter den Zweigstellen hatten bis zu 25 000 Euro täglich eingenommen.

Regina Schultze fackelte nicht lange, zog die Schriftstücke („Hunderte”) aus der Mülltonne und verstaute sie im Kofferraum. Dann ließ sie den Wagen waschen und fuhr wie geplant zum Tennis, man war für 19 Uhr verabredet.

Stunden später, in ihrer Bochumer Wohnung, habe sie den Papierberg noch einmal gemustert: „Und gedacht, das kann ja nicht angehen, dass sowas im Abfall herumliegt, in einer Tonne ohne Deckel, da, wo jeder gucken kann.”

Nackter Mann in der Straßenbahn

Es war der ungewöhnlichste Fund ihres Lebens, sagt die 44-Jährige. Dabei war ihr Dasein bisher durchaus nicht ohne. Etwa im Sport: Für die SG Wattenscheid 09 spielte sie früher als Frauenfußballerin in der damals höchsten Liga. Als Linksaußen, die viele Tore schoss, kam sie in die Westfalenauswahl. Auch beruflich hat sie einiges hinter sich: Erst Filial-Leiterin einer Fleischerei in Querenburg, dann fuhr sie im Kleinbus behinderte Kinder zur Schule.

Vor 15 Jahren heuerte sie bei der Bogestra an. Seitdem fährt sie Straßenbahn. Mal die 8/18 nach Dahlhausen, mal die U 35. Probleme habe es kaum gegeben, Randalierer und Trunkenbolde habe sie immer beschwichtigen können, „ganz sachlich”. Nur einmal musste Polizei kommen, da hätte sich ein Mann in der Bahn nackt ausgezogen und den Fahrgästen erklärt, er sei Gott.

An jenem Märzabend daheim, in der Wohnung mit den Lidl-Papieren, habe sie überlegt, was sie damit nun machen soll. „Für die Polizei war das wohl nichts,” vermutete sie. Im Internet schaute sie, was da über Lidl stand. Dabei entdeckte sie Berichte darüber, wie Lidl-Beschäftigte bespitzelt wurden. Und ihr Entschluss stand fest: Der Fund aus der Mülltonne, der gehörte an die Presse.

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