Bochum.
Die magersüchtige Susanne (14) war zuletzt nur noch Haut und Knochen. Marie (12) hatte bei einer ihrer Aggressionsattacken sogar Mutter und Vater verprügelt. Beide Schülerinnen sind längst auf dem Weg der Besserung. Auf dem idyllischen Reitplatz an der Axstraße erscheinen sie als nette, freundliche, gesunde Teenager. „Dieser Erfolg“, sagt Dr. Andreas Richterich, „ist auch unserem Therapeutischen Reiten zu verdanken.“
Susanne und Marie (beide Namen geändert) zählen zu den 63 Jungen und Mädchen, die in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des St. Josefs-Hospitals in Linden behandelt werden. Depressionen, Ess- und Verhaltensstörungen, Psychosen, Traumatisierungen, zunehmend Internet- und Medienabhängigkeit: Die Krankheitsbilder auf den Stationen und in der Tagesklinik sind verschieden. Die drei Pferde stehen allen Patienten offen. Und vor allem die Mädchen schließen Lara, Schnuppe und Harry schnell ins Herz.
Helios-Klinik besitzt eigene Reitanlage
Als eine von wenigen Kinder- und Jugendkrankenhäusern verfügt die Helios-Klinik über eine eigene, kürzlich aufwändig renovierte Reitanlage mit Stallungen, Weiden und blitzsauberem Reitplatz. Hier sind die Kinder und Jugendlichen täglich hoch zu Ross unterwegs – gern auch ohne Sattel. Selbstverständlich gehören auch das Säubern der Vierbeiner und Ställe sowie das Füttern zu den Aufgaben.
„Als Ergänzung zur Einzel- und Gruppentherapie spielt das Therapeutische Reiten eine herausragende Rolle“, betont Chefarzt Dr. Richterich (42). Dabei gehe es nicht um Sport. „Wichtig sind die Erfahrungen und Werte, die die Jungen und Mädchen im Umgang mit den Tieren sammeln. Sie erfahren Halt und Sicherheit, lernen Rücksicht und Einfühlungsvermögen, verbessern ihre Motorik, bauen Ängste ab und Selbstvertrauen auf. Sie erleben, dass sie gemocht werden, dass man Liebe nehmen und geben kann. Pferde stellen dafür keine Bedingungen.“
Der durchschnittliche Aufenthalt beträgt 41 Tage
41 Tage dauert der durchschnittliche Aufenthalt in der Klinik. 41 Tage, an denen die „Sorgenkinder“ sorglose Stunden mit ihren vierbeinigen Freunden genießen. Eine Reittherapeutin, eine Kinderkrankenschwester und drei Tierpfleger sorgen für das Wohlergehen von Mensch und Tier. Eine sinnvolle, gleichwohl teure Therapie, die laut Dr. Richterich „mehrere zehntausend Euro“ im Jahr kostet. Der neu gegründete „Villa Kunterbunt“-Verein soll den Etat entlasten. „Es wäre toll, wenn wir künftig aus Vereinsmitteln etwa einen neuen Sattel oder den Hufschmied bezahlen könnten“, so der Chefarzt, der auch als Vereinsvorsitzender fungiert.
„Es hat wieder riesig Spaß gemacht“, strahlen Susanne und Marie, als sie von ihren Lieblingen absteigen. „Das Reiten tut beiden Mädchen gut“, sagt der Chefarzt. Susanne kann schon bald wieder nach Hause zurückkehren.
Unter dem Dach der „Villa Kunterbunt“ soll das Therapeutische Reiten der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie dauerhaft gesichert werden.
Der Name der Pippi-Langstrumpf-Heimstatt steht Pate für einen in diesen Tagen gegründeten Förderverein. Mitgliedsbeiträge und Spenden sollen dazu beitragen, die Reit-Angebote für die jungen Patienten dauerhaft zu finanzieren. Zusätzliche private Gelder sind erforderlich. Zwar sei der Nutzen der Therapie wissenschaftlich unumstritten. „Aber versuchen Sie mal mit einer Kasse über den Kauf eines Pferdes zu verhandeln“, sagt Chefarzt Dr. Richterich.
Zu den ersten Spendern zählt die Freiwillige Feuerwehr Linden. Löschzugführer Elmar Lücking übergab einen Scheck über 1100 Euro. Die Blauröcke hatten das Geld 2010 bei einer Tombola im Rahmen ihres Tages der offenen Tür erwirtschaftet.