Bochum. Stehen Theaterstücke in ihrer klassischen Form vor dem Aus? Keine der für das Theaterfestival Impulse ausgewählten Stücke spiegelt eine zeitgenössische Dramatik wieder. Stattdessen wird auf Show und Action gesetzt und Schnaps und Ohrstöpsel verteilt.

Im Prinz Regent Theater wurde Schnaps serviert, im Schauspielhaus Lärmschutzstöpsel für die Ohren verteilt. Wer sich als Zuschauer in die freie Theaterszene begibt, muss das offenbar mit Leib und Seele tun. Nur zwei, natürlich recht beliebige, Beispiele für einen doch klaren Trend. Keine der für das wichtige Theaterfestival Impulse ausgewählten Produktionen inszeniert ein Stück. Keine zeitgenössische Dramatik, nirgends, nicht einmal ein Klassiker wird zerschreddert. Überall Show, Aktion, Performance, Dokumentation.

„Die überdeutliche Erkenntnisdiktion des traditionellen Sprechtheaters eignet sich nur noch als Lachnummer“, wird das Jurymitglied Veit Sprenger in der „Tageszeitung“ zitiert. Und ebendort sagt auch der an vielen Stadttheater tätige Erfolgsregisseur Nicolas Stemann: „Mit der Abwendung von der Literatur als dem Übergott des Theaters verstärkt sich der Live-Aspekt, das heißt: der Moment des Theaters als eine ganz eigene Kunst.“

Ist die zeitgenösissche Dramatik so schlecht?

An solche Diagnosen schließen sich Fragen an. Ist die zeitgenössische Dramatik so schlecht, dass Theatermacher in ihr nichts mehr finden, was sie interessiert? Sind Show und Spektakel am Ende mit größerem Erkenntnisgewinn verbunden als das wohlfeil inszenierte Stück? Wie so oft gibt es darauf mehrere Antworten, keine Wahrheit. Betrachtet man etwa den DJ-Abend der Künstlerin Peaches im Schauspielhaus, so bietet sich auf den ersten Blick nur ein desaströses Bild. Zu hammerharter Techno-Musik „konzipiert“ da eine Musikerin Bilder, die sich irgendwo zwischen Sado-Maso-Messe und Feuerwehrfest in der Kleinstadt irrlichtern. Das Wissen um die Do-It-Yourself-Ästhetik des Punk und die Geschichte der Burleske machen das Treiben nicht besser, auch nicht das Oberseminar „Dekonstruktion und Gender-theorie“.

Standing Ovations in den Kammerspielen

Auf der anderen Seite aber „She She Pop“. Deren Abend „Testament“ zeigt, wie man Theater und Wirklichkeit in einen sagenhaften Schwebezustand bringen kann. Er nutzt alle Mittel der Theatralik bewusst und verbindet sie mit einer extrem authentischen Diagnose der alltäglichen Wirklichkeit. Vielleicht ist es kein Zufall, dass dieser mit minutenlangen Standing Ovations in den Kammerspielen gefeierte Abend der einzige des Impulse-Festivals ist, der sich zumindest an einem Klassiker - Shakespeares „Lear“ - abarbeitet. Zwei extreme Pole warten beim Impulse Festival in dieser Woche noch auf die Zuschauer. „Cry me a River“ (Dienstag und Mittwoch, 20 Uhr, Prinz Regent Theater) will beweisen, dass Text und Sprache im Showformat doch noch eine Rolle spielen: Anna Mendelssohn redet 60 Minuten über ihr Verhältnis zum aktuellen Weltgeschehen. Zum Abschluss dann noch einmal pures Spektakel. Das Hamburger Performance-Kollektiv HGich.T agiert zwischen Punk und Theater und zeigt in der Rotunde (Freitag, 24 Uhr) eine körperbetontes Brachial-Show. „endzeit 2“