Bochum.

Zu einem berührenden Abend geriet das musikalisch-literarische Gedenken an die Holocaust-Opfer am Tag der Befreiung von Auschwitz in der fast voll besetzten Christuskirche.

„Bitte nicht klatschen“, bat Pfarrer Thomas Wessel. Am Donnerstag, dem Tag der Befreiung von Auschwitz, wollte er das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus nicht mit schnödem Händerühren relativieren. Dann begrüßte er anwesende Überlebende des Konzentrationslagers in der Christuskirche. Es sollte ein aufrührender Abend werden, mit intensiver Lyrik und begleitet von Kroke, die mit ihrer Klezmer-Musik das Publikum bewegten.

Eindringlich und direkt

Es begann mit Worten – Joanna Stanecka und Frank Wickermann von Verein Kosmopolen lasen „Den anderen Danke“ von Charlotte Delbo. Eindringlich und direkt führten sie die fast voll besetzte Kirche zum Thema: dem KZ. Entsprechend dramatisch begann der erste Titel von Kroke: mit stampfenden Kontrabass und gequält singender Geige. Die direkte Akustik übertrug jedes Klopfen auf den Instrumentenkorpus und das Klacken der Tasten an Jerzy Bawols Akkordeon. Umso unmittelbarer übertrug sich der Stimmungsumschwung der Musik von der Bühne auf die Zuhörer. Denn nicht lange blieben Bawol, Tomasz Kurkuba an der Geige und Tomasz Lato am Bass bei einer Gangart. Blitzschnell löste sich der stampfende Takt in sphärische Melodien auf, nur um im nächsten Moment das Thema wieder anders zu variieren.

Die „jüdische Seele“ besungen

Unterbrochen wurde das ansonsten fast übergangslose Spiel des Trios von den Lesungen. Der hörbare Akzent von Joanna Stanecka ließ die Texte noch härter erklingen, die vom Leben im Konzentrationslager berichteten und die „jüdische Seele“ besangen.

Die drei Musiker nahmen die Stimmungen der Gedichte auf und intensivierten sie auf eine Gefühls-Achterbahn. Da sang Kurkuba mit hoher, klagender Stimme, wobei sein Gesang im nächsten Moment abgelöst wurde von einem frivolen Tanzlied. Dazwischen blieb Platz für ausgedehnte, etwas effektüberladene Geigensoli. Eher waren es die kurzen Zwischenspiele, die Kurkubas wahres Können zeigten. Besonders im gefühlvollen Zusammenspiel zeigte die Formation ihre Stärken. Kurkubas Stimme überraschte durch Eindringlichkeit – mit gezielt gesetztem wortlosen Gesang bereicherte er die Musik so um ein „Instrument“. Kreativ war sein geschnalzter Einsatz beim bekannten „Time“.

„Es kommen gute Tage“

Etwas befremdlich war die Stille in den Pausen. Sichtlich schwer viel es vielen im Publikum, nicht zu applaudieren. Holten einen die Gedichte auf die harten Kirchenbänke zurück, entführten Kroke mit ihren traurigen Melodien jeden Zuhörer in die ganz eigene Gedankenwelt. Eine seltsame, aber gelungene Mischung, die gewiss zu Begeisterungsausbrüchen geführt hätte, wäre das Thema nicht so ernst.

Zuletzt las Stanecka „Es kommen gute Tage“ von Kazimerz Dabrowski gleichsam als Einleitung für Krokes letztes Stück. Vielleicht lag es an dem Titel des Gedichts - als der letzte Ton verklungen war gab es kein Halten mehr: Wie zur Befreiung brach der Begeisterungssturm los. Ein passendes Ende für ein rundum gelungenes Gedenkkonzert.