Bochum. .

Der alte Hof Höltermann in Stiepel liegt auf 196 Metern über Normalnull. Damit markiert er die höchste Lage der Stadt. Die 89-jährige Änne Lingner erinnert sich an die Zeit vor Neubauten und Handy-Masten, die heute den Ort dominieren.

Da ist sich Änne Lingner, geborene Höltermann, aber ganz sicher. Früher hing oben in der uralten Eiche, gleich neben dem Kotten solch’ ein merkwürdiger Holzmast. „Den haben die Vermesser dort angebracht“, erzählt sie im warmen Wohnzimmer des rund 200 Jahre alten Hauses. Die 89-Jährige wuchs hier auf, in dem robusten Bruchsteinhaus, mit dem urigen Backhaus gleich neben an. Irgendwie erinnert das Ensemble ans Hexenhäuschen aus dem Grimmschen Märchen. Es ist tiefer Winter und wir stehen ganz oben in Stiepel, dort wo Bochum Gebirge ist.

Änne Lingner, Hans-Jürgen Kümmel und seine Frau Jutta vor ihrem Haus auf dem höchsten Punkt in Bochum. Foto: Ingo Otto / WAZ FotoPool
Änne Lingner, Hans-Jürgen Kümmel und seine Frau Jutta vor ihrem Haus auf dem höchsten Punkt in Bochum. Foto: Ingo Otto / WAZ FotoPool © Ingo Otto / WAZ FotoPool

Der alte Kotten Höltermann mit der postalischen Adresse Kemnader Straße 302a markiert die höchste Lage der Stadt. Auf den Punkt 196 Meter über Normalnull haben die Landvermesser berechnet. Höher ist hier nichts, es sei denn jemand macht sich Mühe und kraxelt in die Krone jener Eiche, die beinahe so alt wie das Haus selbst zu sein scheint. Oder, weit weniger romantisch, er klettert an den metallischen Sprossen des Mastes für die Handy-Verbindungen empor, den die Neuzeit wenige hundert Meter entfernt aufgestellt hat. Dort ist es bestimmt noch ein paar Meter höher, aber das interessiert im Hause Höltermann eigentlich niemanden.

„Beendigt auf dem Felde, den 4. Dezember 1823“ schrieb ein Geometer mit schwungvoller Signatur auf sein Werk. Der Maßstab der Karte ist 1:10 000 und das Fleckchen Erde nannte sich in jener Zeit Mittelstiepel, im Regierungsbezirk Arnsberg, dem Landkreis Bochum, zugehörig der Bürgermeisterei Blankenstein. Da findet sich nördlich, halb umschlungen von dichten Wäldern, tatsächlich der Hof Höltermann eingezeichnet. Im Norden schließt der Hof Klein Oechey im Westen der Schmidt’sche und im Süden das Anwesen Heiermann an. Mindestens 187 Jahre, wahrscheinlich noch um einiges älter ist das Haus also dort am höchsten Punkt der Stadt.

Flurkarte Stiepel von 1824: Zwischen „Flur No. III“ und „Flur No.I“ ist der Hof Höltermann eingezeichnet. Foto: Stadt Bochum
Flurkarte Stiepel von 1824: Zwischen „Flur No. III“ und „Flur No.I“ ist der Hof Höltermann eingezeichnet. Foto: Stadt Bochum © Stadt Bochum

„In meiner Jugend hatte man noch einen herrlichen Blick bis nach Blankenstein oder zum Haus Kemnade“, erinnert sich Jutta Kümmel, die heute gemeinsam mit ihrem Mann Hans-Jürgen und ihrer Mutter in dem erweiterten ehemaligen Hof lebt. Schmucke Einfamilienhäuser der betuchten Stiepeler Neubürger verstellen die Sicht. Aus ehemaligem Bauernland ist längst Bauland geworden, recht wertvolles dazu. Vom dichten Wald der historischen Karte sind nur die drei Eichen und eine beinahe ebenso alte Buche geblieben.

Dort, wo sich jetzt das Wohnzimmer befindet, stand früher das Vieh. Wie bei einem Kotten üblich, gab es ein paar Kühe, Schweine und natürlich Hühner. Oma Lingner, deren Großvater Heinrich Höltermann sich nebenbei als Schuhmacher verdingte, erinnert sich: „Deshalb nannten die Leute den Landstrich hier früher auf Plattdeutsch ‘Schoemakers’“. Im letzten Krieg quartierte die Wehrmacht kurz vor Schluss Soldaten rund um den Kotten ein. „Das Schießen der Artillerie ging hin und her, wie auf einer Schaukel“, erzählt Änne Lingner. Die Granaten rauschten nur so über die Anhöhe hinweg. Aber dieses Intermezzo zum Kriegsende währte nur kurz.

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In neuerer Zeit erfreute sich der höchste Punkt der Stadt vor allem in Kreisen der Amateurfunker großer Beliebtheit. Hans-Jürgen Kümmel hat schon oft beobachtet, wie sie sich an der tollen Reichweite erfreuten und mit Menschen in aller Herren Länder in Kontakt traten. Beliebt auch bei Stadtrallyes oder Wanderern bleibt der alte Hof Höltermann, der nach dem Krieg eine Landschaftsgärtnerei betrieb, bis heute. Nur die Aussicht, die besteht nicht mehr.

So mag es kommen, dass selbst eingesessene Bochumer etwa den Tippelsberg oder die ehemalige Deponie Kornharpen als höchste Erhebung der Stadt sehen. Weit gefehlt! Sogar der Stadtplan gibt dem Fleckchen in Stiepel die Ehre: 196, steht dort. Wer weiß, vielleicht bekommt der Berg ja irgendwann noch einmal ein richtiges Gipfelkreuz verpasst, verdient hätte er es. Übrigens, Bochums tiefster Punkt befindet sich an der Grenze Hordel/Günnigfeld. Die Straßenunterführung „Blumenkamp“ liegt gerade einmal 43 Meter über Normal-Null. Aber das ist eine andere Geschichte . . .