Bochum.
Eine großartige Gratwanderung zwischen Comedy und Kabarett: Dieter Nuhr überzeugte vor 3000 Besuchern im RuhrCongress.
Klug, kreativ, kritisch - und dabei saukomisch: An der Schnittstelle zwischen politischem Kabarett und massentauglicher Stand-up-Comedy kann Dieter Nuhr in Deutschland niemand das Wasser reichen. Frag’ nach bei den über 3000 Besuchern, die am Samstagabend den RuhrCongress füllten.
In seinem aktuellen Programm „Nuhr die Ruhe“ begibt sich der 50-jährige Ratinger einmal mehr auf Erklärungssuche für allerhand Missstände, Mirakel und menschliche Abgründe. Abgeklärt. Unaufgeregt. Fast altersweise. Schon zu oft stand der Weltuntergang kurz bevor. Tschernobyl („Drei Monate keinen Salat gegessen und weitergemacht“), Waldsterben, Ozonloch, Aids, Rinderwahn, Vogel-, Schweinegrippe: Panik allerorten - hurra, wir leben immer noch. Nuhr bekennt sich gar zum Glücksichsein. Doch Obacht: „Wer heute sagt ,Die Welt ist schön’, hängt ruckzuck am Tropf mit Depressiva.“
In jovialem Plauderton, gern auch mit Lausbubenlächeln, schießt Nuhr Giftpfeile ab. Sexueller Missbrauch bei der Bundeswehr: „Da hätten die Rekruten auch Messdiener bleiben können.“ Berlusconi: „Der hat jeden Abend ‘ne neue Blondine im Arm. Man weiß nicht: Ist eine Prostituierte? Ist es die neue Bildungsministerin? Oder beides?“ Bundesregierung: „Viele Frauen, ein Waisenkind, ein Schwuler, ein Behinderter, ein junges Mädchen, eine siebenfache Mutter, sogar ein Adeliger: Das nannte man in früheren Jahren noch Sponti-Truppe.“ Nackt-Modelle: „Putin lässt sich in Russland in jedem Sommer mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd fotografieren.“ Nuhr denkt an Merkel - und kriegt „dieses Bild nicht mehr aus dem Kopf“ : David Hasselhoffs (W)Irrglauben, mit „Looking for Freedom“ den Mauerfall entfacht zu haben: „Hat der eigentlich auch vor dem Kölner Stadtarchiv gesungen?“
Mit den ewigen Unterschieden der Geschlechter streift Nuhr nur selten das angestammte Revier der Atzes und Marios. Gott, glaubt er, muss ein Mann sein: „Sonst würde er zu uns sprechen.“
Auch in Bochum lässt der zweifache Gewinner des Deutschen Comedy-Preises die Opel-Krise nicht unberührt. Süffisant erinnert Nuhr daran, dass die Anfänge von Opel in der Produktion von Nähmaschinen lagen. Das konnte ja nicht gutgehen... Apropos Auto: Wer mit leerem Tank auf der Strecke bleibt, komme auch mit Gottvertrauen nicht weiter: „Kein Wunder, dass der ADAC inzwischen mehr Mitglieder hat als die Kirche.“
Nuhr 2010: Das sind zwei Stunden Schmunzeln, Grinsen und lauthals Lachen auf hohem Niveau, erholsam anders als die lärmenden Lach-Nummern, die die Comedyszene gemeinhin prägen. Das Publikum bedankte sich mit brausendem Applaus.