Bochum.
Choderlos de Laclos Sittengemälde „Gefährliche Liebschaften“ von 1781 beschäftigt auch 200 Jahre später die Gedanken und Gefühle der Menschen. Wie im Rottstr.5Theater, wo die „Liebschaften“ in der Regie von Katrin Lindner Premiere hatten.
Im Roman geht um die intrigante Marquise Merteuil, die dem Vicomte de Valmont vorschlägt, die Braut ihres früheren Geliebten noch vor der Hochzeitsnacht zu verführen. Damit nicht genug: Stets aufs Neue führen die Marquise und der Vicomte zwischen Soupers und Puderquasten einen (auch sprachlich) formvollendeten Wett- und Bettkampf um die wollüstigste Verführung, den durchtriebensten Betrug und die rücksichtsloseste Rache auf. Abgründe tun sich auf…
Den Roman beim Wort genommen
Lindner nimmt den Roman beim Wort, und spielt diese menschlichen Verwicklungen und Verwerfungen genüsslich aus. Allerdings wird das Spiel mehrfach gebrochen, mal wird der Ablauf von einer grellen TV-Moderation aufgeknackt, dann gibt es eine grobe Porno-Pantomime. Gammelige Autoreifen sind Deko und Mobiliar zugleich, Stofftierchen stellen die weiteren Figuren dar. Das sind reduzierte Ausstattungsmittel, die den beschränkten Ressourcen der Rottstraße geschuldet sind – wo es für Louis Quatorze-Stühle nicht reicht, müssen eben Altreifen als Sitzmöbel herhalten.
Eher holzschnittartig
Dagegen wäre nichts zu sagen, aber in diesem Fall ist die Reduktion nicht Kampfmittel, sondern Schicksal der Inszenierung: Anstatt die Beschränktheit des Raumes anzuerkennen und das Stück bis auf den rohen Kern auszubeinen, setzt die Regisseurin auf viel zu viele Gimmicks, die es eher noch aufblasen. Etwa, wenn ein Mini-Eiffelturm auftaucht, der uns sagen soll: „Jetzt sind sie gerade in Paris“. Die abgründige Gefährlichkeit und Gefährdetheit des intriganten Typenkabinetts, die innere Verlorenheit der Figuren - und letztlich ihre Liebessehnsucht - werden nicht mit Furor, nurmehr holzschnittartig ausgestellt. Das mag aber auch daran liegen, dass die „Liebschaften“ eben ein Roman und keine Theatervorlage sind. Nicht umsonst hat Lindners Einrichtung ihre sprachlich-dramaturgisch fesselndsten Momente, wenn zum alten Text Brocken aus Heiner Müllers G.L.-Adaption „Quartett“ serviert werden. - „Ihr Herz ist ein Ziegelstein“. - „Aber es schlägt nur für Sie!“ - so was klingt eben entschieden theatergerechter als die artifizielle Rokokosprache.
Präsente schauspielerische Leistung
Was bleibt, ist eine sehr präsente schauspielerische Leistung, Evamaria Salcher als Marquise und Michael Lippold als Vicomte nehmen die Herausforderung des Zimmertheaters an und agieren, ob im Reifrock, ob in Unterhose, ob im Freizeitsportlerklamotten, so selbstverständlich ungeniert, als gäbe es (bei aller räumlichen Nähe) eine Distanz zum Publikum gar nicht.
Ein Theaterabend, den man sich gut ansehen kann. Kein wirkliches Muss.