Die letzte Spielzeit des Intendanten Elmar Goerden bot manches Überraschende: Das reichte von einer aufwühlenden Törleß-Miniatur bis zur ausladenden Familiensaga voller Faszination.

Vor etlichen Jahren hatte Elmar Goerden dem Schauspieler Klaus Weiss versprochen, dass er ihn einmal als „König Lear“ besetzen wolle. Nun, zu Beginn der fünften Spielzeit der Intendanz Goerden, bot sich die Gelegenheit, den so arg vom Schicksal und seiner Fehleinschätzung gebeutelten Herrscher von Shakespeares Gnaden auf die Bühne zu stellen. Goerden gelang eine moderne Version des alten Dramas, fernab von Aufdringlichkeit und Pathos, beinahe kühl zeitweise. Klaus Weiss zeigte den Lear nicht als verzweifelten Greis, schlotternd durch die Heide irrend, ein Minetti von der Bochumer Königsallee. Dagegen spricht schon die Statur des Schauspielers Weiss. Der Lear von Klaus Weiss ist ein gefasst agierender Regent, der eher einen Konzern denn ein Königreich zu verteilen hat. Lears Leiden bekommen etwas Tragikomisches, sind von bitterer Melancholie und standhafter Resignation. Elmar Goerden hatte ein Versprechen eingelöst und gut daran getan.

Ebenfalls zum Spielzeitauftakt war eine pfiffige Version von „Alice im Wunderland“ zu sehen. Die bekannte Story mit all ihren Absurditäten schnurrte vor dem Publikum ab wie ein Kuriositätenkabinett, wobei ein genialischer Einfall darin bestand, die Rolle der Alice zweimal zu besetzen: einmal mit Maja Beckmann als liebenswerte Alice, und daneben Alice als Marionette, böse und abgefeimt. Eine Inszenierung von großem Schauwert.

Eindrucksvolle Finessen

Als Kritiker- und Publikumserfolg entpuppte sich „Eine Familie (August Osage County)“ von Tracy Letts. Diese Saga in der Tradition der großen Epen von Tennessee Williams oder Eugene O’Neill war exzellent besetzt: Schauspieler, die in anderen Rollen am Schauspielhaus nicht recht zur Geltung gekommen waren, blühten hier auf, zeigten eindrucksvolle Finessen. Der Star des Abends: Mechthild Großmann. Sie zeigt die Violet Westen als gebrochene Frau mit radikal-zynischem Unterfutter, ernüchtert und doch liebesbedürftig: eine Schwester der Martha aus dem Klassiker „Wer hat Angst vor Virginia Wolf“. Heiner Stadelmann musste sich zwar mit einem langen Monolog am Anfang begnügen (dann war seine Figur tot), doch entledigte er sich dieser Ausgabe mit Feingefühl und Vitalität.

Eine kleine Produktion des Jungen Schauspielhauses im Melanchthonsaal ging etwas unter in Konkurrenz zu den großen Inszenierungen am Stammhaus: „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ von Robert Musil. Die Geschichte war klug eingestrichen worden, Martina Boxen führte Regie. Die jungen Darsteller konnten sich exakt hineinfühlen in die Seelen der Jugendlichen zu Anfang des 20. Jahrhundert. Besonders hervorstechend dabei Alexander Ritter als geknechteter Basini.. Ritter warf sich vehement in die Rolle hinein, sich selbst dabei nicht schonend.

Große Sperrigkeit

Und dann das selten gespielte Stück „Die Schwärmer“ von Musil. Der Text ohne wirkliche Dialogstärke entwickelte unter der Regie von Gustav Rueb seinen Glanz, und den Schauspielern gelang es, trotz aller Sperrigkeit ihre Figuren als Individuen zu formen.

Enttäuschend die Inszenierung von Brechts „Puntila und sein Knecht Matti“, deren Haupthindernis darin lag, das Benno Ifland als Puntila den radikalen Gemütsunterschied zwischen dem nüchternen und betrunkenen Gutsbesitzer nicht deutlich machen konnte.

Abschließend gab es noch einmal ein „Ohne alles“-Festival. Elmar Goerden wurde mit Ovationen verabschiedet, als sei seine Intendanz ohne Fehl und Tadel gewesen. Doch nehmt alles nur in allem: Auf vieles hätte der Zuschauer in der Tat nicht verzichten wollen. Und wäre es nur Thomas Anzenhofer als „Man in black“ Johnny Cash gewesen. Ende gut, vieles gut.