Bochum. .

Das Bochumer Rottstr5-Theater zeigte eine Version der Odyssee, für die kein immenser Finanzaufwand, sechs Inszenierungen und Transfer-Busse notwendig sind wie bei der „Ruhr 2010“-Version der Stadttheater. Das Stück brauchte nur einige Requisiten und sich beinahe haltlos in die Rollen hineinwerfende Schauspieler.

Wo entwickelt sich eine Off-Theaterszene, wo treffen sich unabhängige Gruppen, um ihre riskanten Visionen zu verwirklichen, ohne allzu große Rücksicht auf Quote und tariflich gesicherte Arbeitszeit zu nehmen? Sicherlich fernab von den Kronleuchtern der Stadttheater, den (oft auch) gefälligen Inszenierungen des etablierten Bühnenbetriebs.

Ein faszinierendes Beispiel dieser im Halbschatten gedeihenden Enthusiastenprojekte gibt es an der Rottstraße zu besichtigen – seit einiger Zeit schon, und seit dem vergangenen Samstag umso dringlicher. Das Ensemble des Rottstr5-Theaters um die Regisseure Arne Nobel und Hans Dreher zeigte eine Version der Odyssee, für die kein immenser Finanzaufwand, sechs Inszenierungen und Transfer-Busse notwendig sind wie bei der „Ruhr 2010“-Version der Stadttheater, sondern nur einige Requisiten und sich beinahe haltlos in die Rollen hineinwerfende Schauspieler.

Spurensuche nach dem Ungeheuerlichen

Die Trilogie „Nach Troja“ war in den einzelnen Segmenten schon in der Underground-Höhle unter den S-Bahn-Gleisen zu sehen, jetzt wurden sie erstmals zur Einheit verschweißt, kündeten von den Schrecken eines Krieges, der nicht nur im alten Hellas, sondern bis in unsere Tage in Vietnam, Irak oder Afghanistan geführt wird. In den einzelnen Teilen werden Passagen von William S. Burroughs, Joseph Conrad, Francis Ford Coppola und Bret Easton Ellis mit einander verschnitten, ohne dass dadurch ein unzusammenhängender Collage-Teppich entstehen würde.

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Im Gegenteil: Mögliche Verständnislücken in diesem assoziativ dunklen Text befördern das alptraumhaft-surrealistische Klima dieser Spurensuche nach dem Ungeheuerlichen, dem Augenblick, da der Mensch des Menschen Wolf wird: Sei es, ob Paris die verträumte Liebe und Helena die entschiedene Tat fordert, ob ausgebrannte Soldaten in einem Nebel aus Alkohol und Drogen versinken oder Odysseus schließlich – heimgekehrt – so gar keinen Grund zur Freude erkennen kann.

Die über dreistündige Inszenierung, unterbrochen durch zwei Pausen, bildet ein Delirium der Unbehaglichkeit, eines Höllentanzes auf kleinstem Raum: keine Hoffnung, nirgends. Die beiden ersten Teile gehören den Schauspielerinnen Alexandra Lowygina als eine Helena, die von den hellsichtigen Trugbildern im Opiumrausch nahezu aufgezehrt wird; und Magdalena Helmig, die als Philoktet die sie umgarnenden Männer kühn in die Schranken verweist, selbst wenn sie dafür am Kreuz büßen müsste (hier symbolisiert durch ein Surfbrett). Die Männer in den ersten beiden Trilogie-Teilen können solche weiblichen Zentralgestirne nur als Zuarbeiter umkreisen; und seien sie auch so talentiert wie Oliver Möller vom Ensemble des Bochumer Schauspielhauses.

„Nur diese Flasche Ouzo noch“

Das dritte Stück gehört Arne Nobel allein. Er ist Odysseus, zurück gekehrt nach Ithaka, ein ausgepumpter Krieger, lebens- und sterbensmüde, der aufbrausend, dann wieder mit beinahe hauchender Stimme den zermürbenden Kampf um Troja Revue passieren lässt: „Nur diese Flasche Ouzo noch.“ Arne Nobel, mit rauchiger Stimme und beinahe wie abwesend wirkend, zeichnet eine ungemeine Bühnenpräzenz aus, von der man den Blick nicht lassen kann, und die vergessen lässt, dass allzu feinsinnige Modulationen Nobels Sache nicht sind.

Regievorbilder von Arne Nobel und Hans Dreher sind sicherlich Größen wie Jürgen Kruse oder Frank Castorf, keine schlechte Wahl indessen. Manches Wühlen im weißen Staub oder Wasserplantschen in dieser für eine freie Theatergruppe höchst erstaunlichen Trilogie befördert sicherlich nicht unbedingt die Magie des Augenblicks; doch der Kern der Regie entlässt den Zuschauer in Nachdenklichkeit gefangen und auf eine seltsame Weise erfreut nach draußen in die beinahe mitternächtliche Stunde. Es ist jene Euphorie, die aufkeimt, wenn ein Theaterabend auch mit einer beglückenden Entdeckung verbunden war..