Bochum. .
Vor rund 50 Jahren wurde Karl A. wegen sexuellem Missbrauchs zu zwei Jahren Haft verurteilt. Damals war nicht klar, dass der 51-Jährige Priester und Religionslehrer war. Durch die Enthüllungen der vergangenen Wochen wurde auch dieser Fall wieder an die Oberfläche gespült.
Noch vor wenigen Wochen konnte das Bistum Essen reinen Gewissens melden, dass dem Generalvikariat bislang kein Fall von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen durch Priester – auch nicht aus der Vergangenheit – aus Bochum vorlag. Doch ein Anruf bei der Redaktion dieser Zeitung änderte einiges.
Die Frau wollte anonym bleiben, doch ihre Erinnerung erwies sich als präzise und unbestechlich. Sie wolle ein Beispiel für die Vertuschung solcher Taten durch die Kirche liefern, sagte sie am Telefon: Als Vikar las Karl A. in den 50er Jahren die Messe in der katholischen Altenbochumer Liebfrauenkirche, als Religionslehrer der beiden damaligen Bochumer Realschulen, Jacob-Mayer (Jungen) und Annette-von-Droste-Hülshoff (Mädchen) kam er in engen Kontakt mit Schülerinnen und Schülern, zu eng wie sich bald zeigen sollte.
Unter dem Vorwand, er brauche jemandem, der bei ihm in der Priesterwohnung im Schatten der Kath. Pfarrkirche in der Liebfrauenstraße, die Fenster putze, lockte der Vikar die Kinder zu sich nach Hause. Die Schüler und Schülerinnen mussten sich dort ausziehen und Karl A. fertigte Nacktfotos an, genauer gesagt Dias, „ohne allerdings die Köpfe zu zeigen“, wie sich die anonyme Zeugin erinnert. Um es vorweg zu nehmen: Eines der Opfer offenbarte sich damals seinen Eltern, die gingen zur Polizei. Bei der Wohnungsdurchsuchung wurden auch die eindeutigen Aufnahmen gefunden.
Zwei Jahre Haft ohne Bewährung
Karl A. kam in Untersuchungshaft und wurde damals 51-jährige am 30. September 1963 von der II. Strafkammer des Bochumer Landgerichtes zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Zehn Mädchen und Jungen wurden zu seinen Opfern, stellte zumindest das Gericht fest. Die zahlreichen sichergestellte Fotos dienten dem Gericht als Beweisgrundlage. Doch nicht nur der Fotos wegen wurde der Priester verurteilt. „Dabei näherte er sich den jungen Menschen in einer Weise, die nach Meinung des Gerichts die Grenzen des Erlaubten weit überschritt“, formulierte damals der Gerichtsreporter der WAZ ein wenig geschraubt in der Sprache der damaligen Zeit.
In der Urteilsbegründung stellten die Richter fest, dass das Strafmaß deshalb so hoch ausfalle, weil der Angeklagte ihm „anvertraute Schüler als Modell missbraucht“ habe. Weiter heißt es: „Der Angeklagte habe aus unsauberen Motiven heraus gehandelt. Es ließe sich sonst kein anderer Grund finden, warum er sich auf dieses schlüpfrige Gebiet begeben habe. Karl A. sei weit davon entfernt, sich zu seinen Taten zu bekennen und Reue und Einsicht zu zeigen,“ so damals die WAZ.
Dass es sich bei dem Angeklagten um einen Priester handelte, das ahnten damals offensichtlich nur Eingeweihte. Auch in der Berichterstattung fand sich darauf kein Hinweis. Nur, dass er Religionsunterricht erteilt habe, wurde berichtet. Die Kirche blieb außen vor und regelte den Fall nach den damals üblichen Methoden.
Bistum bestätigt den Fall und zeigt Gesprächsbereitschaft
Den Vorgang bestätigt Ulrich Lota, Pressesprecher des Bistums, der auch einer Arbeitsgruppe angehört, die sich mit sexuellem Missbrauch in der Kirche auseinandersetzt und sich dabei eine größtmögliche Offenheit zur erklärten Maxime gemacht hat. In den Archiven des Bistums ist der Fall bekannt, auch das Urteil und der weitere Lebensweg des Vikars. „Einzelheiten dürfen wir jedoch aus Datenschutzgründen nicht mitteilen“, so Lota.
Der Priester sei nach seiner Haftentlassung im August 1965 zunächst ins Bistum Fulda gegangen und später im sauerländischen Esslohe gelandet. Im Alter von 89 Jahren starb Karl A. im Jahre 2001 Ulrich Lota: „Mit Schulkindern hat er meines Wissens nie wieder etwas zu tun gehabt.“
Wie gründlich der Fall in Vergessenheit geraten ist, zeigt, dass weder an der Annette-von-Droste-Hülshoff-Realschule (die Jacob-Mayer-Schule wurde geschlossen, in dem Gebäude ist die Musikschule) noch beim Pfarrer der Liebfrauen-Gemeinde heute etwas von diesen Vorgängen bekannt ist.
Doch Bernd Wolharn, heutiger Pfarrer der Gemeinde Liebfrauen Altenbochum/Laer geht offensiv mit dem Thema um. Am Montag nahm er an der zentralen Pfarrerkonferenz aus allen 43 Pfarreien bei Ruhrbischof Overbeck teil. „Da stehen die bekannt gewordenen Fälle von sexuellem Missbrauch im Bistum auf der Tagesordnung.“ Er bietet konkret an, dass sich damalige Opfer auch direkt an ihn wenden können, wenn sie das Gespräch wünschen. Auch die Beauftragte des Bistums für diese Fälle steht als Ansprechpartnerin bereit.