Bochum.

Das Bochumer Ubu-Antiquariat bietet über 100.000 Bücher an. Inhaber Wolfgang Jöst findet kritische Töne zum Kulturhauptstadtjahr.

„Wolfgang Welt ist gerade aus der Tür raus.“ - Man begegnet sich in der wohl letzten Raucherbuchhandlung der Stadt, im Ubu-Antiquariat.

Inhaber Wolfgang Jöst, der sich selbst gerne „Ubu-Mann“ nennt, sitzt in einem mäandernden Labyrinth aus Büchern. „Ungefähr 100.000 werden es wohl sein“, so Jöst. Türme stapeln sich bis an die Decke, selbst im Kellergewölbe scheint kein Durchkommen. Hier kennt sich nur einer aus: der Ubu-Mann.

Neben dem Überangebot an Gedrucktem mangelt es nicht an sachkundiger Beratung. Nach den 60 Semestern, die Jöst an den diversen geisteswissenschaftlichen Instituten der RUB eingeschrieben war, hat er beinah zu jedem Thema etwas beizutragen.

Steward Home nach Bochum geholt

Links die Belletristik, rechts die Kunstbände, vorbei an Esoterik und Sozialgeschichte - es ranken sich Bücher über Bücher, kaum zu glauben, dass das Projekt einmal als kleiner politischer Bücherstand angefangen hat.

Aber wie konnte es überhaupt soweit kommen? Wolfgang Jöst hatte sich 1969 immatrikuliert. Aus der Provinz kommend, stürzte er sich in das wilde Leben einer euphorischen Zeit des Aufbruchs. Er beteiligte sich an den wilden Kunst-Happenings, die im Umfeld des Szenekneipe „Spektrum“ entstanden und auch die Bochumer Fabrikbesetzung hatte er 1982 miterlebt. Jährlich wurden es ein paar Bücher mehr. Zwischenzeitlich hatte er auf dem heutigen Riff-Gelände das riesige „Bücherkaufhaus“ eröffnet. Auch dort betätigte er sich kulturell und holte in den 90ern zusammen mit dem Fassbinder-Schauspieler Marquard Bohm den, damals noch recht unbekannten, britischen Schriftsteller Steward Home nach Bochum.

Grenzen zwischen Leben und Kunst schwimmend

Für Jöst sind die Grenzen zwischen Leben und Kunst schwimmend. Letztendlich ist ja auch sein Antiquariat ein einziges Kunstwerk. Duchamps Ready-mades, die auf dem Bücherregal verstauben, unterstreichen diesen Eindruck nur. Aus dieser Perspektive fällt es ihm jedoch schwer, der Idee einer Kulturhauptstadt zu begrüßen. Da würde zu viel über Fördertöpfe nachgedacht und zu wenig Eigeninitiative gezeigt, so Jöst. Auch komme es ihm zuweilen so vor, als habe man an den entscheidungstragenden Stellen den Kontakt zur Basis verloren. „Die Räumung der besetzten Fabrik ist ein Fehler gewesen“, so Jöst. Schließlich hätten sich Anfang der 80er junge Menschen zusammen getan, um aus einer leerstehenden Industrieruine ein Kulturzentrum entstehen zu lassen. Erste Erfolge waren damals bereits zu sehen. Unvergessen sei das legendäre Ton-Steine-Scherben-Konzert mit Rio Reiser am 18. Januar 1982. „Da waren wir doch Kulturhauptstadt“, so Jöst. Die Einschätzung, dass die Idee, ehemalige Fabrikhallen kulturell zu nutzen, erst während der Industrie Ausstellung Emscher Park aufgekommen sei, könne er jedenfalls nicht teilen.

Kritische Töne, die nicht negativ sein müssen, immerhin beginnt Kultur mit Kommunikation. Schnell vergeht die Zeit im Ubu-Antiquariat. Doch Jöst will noch seinen antiquarischen Schatz präsentieren. Es ist das mittelalterliche Stadtwappenbuch Bochums. Klappt man es auf, verbirgt sich drinnen eine Flasche Bier. Für einen Witz ist der Ubu-Mann eben immer gut.