Mit einer „Wiener Melange“ gastierte Jürgen Boebers-Süßmann im Gerther Kulturrat. Launig und mit Musikbeispielen erzählte er von den beiden Seiten der Wiener Seele.

Zwischen „Zwei Herzen im Dreiviertakt“ und dem „Taubenvergiften im Park“ liegen Welten, inhaltlich und auch von der Mentalität her. Und doch bilden diese beiden so unterschiedlichen Lieder die beiden Seiten einer Medaille: in ihnen schimmert das Wiener Herz: das gutmütige wie das bös-morbide. Jürgen Boebers-Süßmann, im Kulturrat seit langem Experte für Schlagerreisen der besonderen Art, verrührte diesmal Sang und Klang aus der Donaumetropole zu einer „Wiener Melange“. Und dem Publikum mundete die Mixtur.

Politischer Hintergrund

Jürgen Boebers Süßmann, WAZ-Redakteur und Autor, belässt es nie bei oberflächlichen Anekdoten, sondern versucht auch den gesellschaftlich-politischen Hintergrund zu beleuchten, vor dem sich gewisse Schlager- und Liedertrends entwickelt haben: So startete er selbstredend in der k.u.k-Monarchie mit der ihr eigenen Prachtentfaltung, von der im heutigen, um so vieles kleiner gewordenen Österreich Prachtbauten wie die Hofburg zeugen. Filme wie „Der Kongress tanzt“ hätten dazu beigetragen, ein bestimmtes Österreich-Klischee bei Außenstehenden zu verfestigen: „Im Prater blüh’n wieder die Bäume“ oder das „Fiaker-Lied“ unterstützten melodiebeseligt diese These - verbunden mit der Institution des „Heurigen“: „Es wird ein Wein sein, und wir werden nicht mehr sein...“ Die eigene Geschichte sei für die Wiener „Lust, Last und Stolz“ befand Jürgen Boebers-Süßmann hellsichtig.

Kartenhaus für den Vater

Nach der Pause wandte er sich dem dunklen Teil der Wien-Referenzen zu: André Hellers Melancholie im Sprechgesang „Wiener Lied“: „Ein Kartenhaus für meinen Vater.“ Boebers-Süßmann lobt uneingeschränkt: „Was Heller in den 70er Jahren gemacht hat, war durchweg grandios.“ Ein anderer, genialischer Nestbeschmutzer hieß Helmut Qualtinger mit seinen beißende Bösartigkeiten - hier zeigte sich besonders krass das ambivalente Verhältnis der Künstler zu Wien, eine Hassliebe, „die Thomas Bernhard zur Perfektion gebracht hat“, so Boebers-Süßmann. Und Wolfgang Ambros treibt mit dem Entsetzen Scherz, wenn er jubelt: „Es lebe der Zentralfriedhof!“

Nach allerlei ätzenden Anwürfen erinnert der Wien-Referent mit dem „Hobellied“ an die Vergänglichkeit alles Seins: „Das Schicksal setzt den Hobel an und hobelt alle gleich“. Da fehlte nur noch der Radetzky-Marsch - selbstredend die letzte Zutat dieser eigenwillig-originellen „Wiener Melange“.