Auf über 1100 Seiten legen Prof. Klaus Tenfelde und Dr. Thomas Urban ein Geschichtspanorama des Ruhrgebiets vor. 600 Quellen sind zu einem Lesebuch nicht nur für Berufshistoriker versammelt und kommentiert.
Zwei schwere Bände sind es geworden, mit gutem Papier, im Schuber mit Lesebändchen und Register. Die Veröffentlichung des historischen Lesebuches „Das Ruhrgebiet“ ist gleich in mehrerer Hinsicht ein sinnliches Ereignis. Es liegt gut in der Hand, und es entfaltet ein breites Geschichtspanorama durch die kluge Anordnung von rund 600 Quellen in 18 Kapiteln.
Langjährige Forschungsarbeit
Die Herausgeber Prof. Klaus Tenfelde und Dr. Thomas Urban können mit der Veröffentlichung eine langjährige Arbeit an diesem Projekt abschließen, das 2007 durch das Engagement der Mercator-Stiftung konkrete Gestalt annehmen konnte. Mit 207.000 Euro unterstützte diese das durchaus monumental zu nennende Werk, das nun, wie geplant, zum Kulturhauptstadtjahr erscheint.
Mit dem 1107-seitigen Doppelband, der in einer beachtlichen Auflage von 3000 Exemplaren gedruckt wurde, liegt aber keine reine Fachpublikation vor, die sich an die Wissenschaftsgemeinde wendet, sondern nach den Wünschen der Herausgeber, ein Kompendium, das für „die Besucher und Bewohner des Ruhrgebietes“ gemacht sei. Auch für Schulen sei das Lesebuch explizit geeignet.
Ego-Dokumente bevorzugt
Das Buch, das über ein mehrere Jahrhunderte Ruhrgebietsgeschichte - zuletzt „200 Jahre lang ein einziger Strukturwandel“ (Urban) - berichtet, ist in 18 Kapitel gegliedert. Es präsentiert seine Quellen mehrheitlich in Hinblick auf erzählte Geschichte und Wahrnehmung. Entsprechend liegt der Schwerpunkt auf so genannten „Ego-Dokumenten“. Das sind literarische Zeugnisse, Reiseberichte und Tagebücher, die über ein hohes Maß an Authentizität verfügen, so Thomas Urban. Verzichtet wurde auf statistische Daten zu Bevölkerungs- und Wirtschaftszahlen, weil diese andernorts verfügbar seien und der Leser nicht mit Datenmüll erschlagen werden sollte.
Tenfelde verteidigt zudem das Buch gegen die bisher nur im engen Familienkreis aufgetauchte Kritik, es habe zu wenige Bilder. Es habe in den letzten Jahren eine Schieflage der Wahrnehmung gegeben, so der Wissenschaftler, die dem Visuellen ein Primat einräume. Er glaube aber, dass dieser Blick wenig Tiefgang besitze und „nicht nützlich“ sei. Man habe diesem verbreiteten Gestus nicht nachgegeben, sagt er stolz, außerdem gäbe es wahrlich genug Bildbände über das Ruhrgebiet.
Entdeckungen zu machen
Dennoch sind Bilder im Buch zu finden, „sehr bewusste“ Abbildungen, findet Tenfelde: Neben Karikaturen, Plakaten auch Faksimiles authentischer Quellen etwa, darunter beispielsweise eine handschriftliche Eingabe der Recklinghäuser KPD an den Stadtverordnetenvorsteher vom 18.4.1933, worin aufgefordert wird Adolf Hitler nicht zum Ehrenbürger zu ernennen, stattdessen lieber Ernst Thälmann, „ein echter deutscher Mann mit reinem Gewissen“. Ein Dokument, von dem Tenfelde glaubt, dass daran in einer Unterrichtsstunde sehr viel über jene Zeit erklärt werden könnte.
Überhaupt sind schon beim Durchblättern im viele Entdeckungen zu machen, einige Quellen sind noch ungedruckt. Die „Multiperspektivität“ (Urban) erlaubt einen in dieser Form bisher nicht möglichen Einblick in eine Region, eine Landschaft die nicht entstanden ist aus „territorial - und dynastiegeschichtlichen Verstrickungen“, sondern durch den Aufstieg der Montanindustrie. Gemacht nicht von Fürsten, sondern von von Menschen der Moderne.