Jerusalem. .
100 Schüler einer Bochumer Realschule bereisen auf Einladung von Peter Maffay das heilige Land. Und der setzt dort ein Zeichen mit seinem ersten Konzert in Israel.
Jerusalem. 8.00 Uhr. Herzlich willkommen. Das sagt der Patriarch von Jerusalem zu den Schülern der zehnten Stufe der Pestalozzi-Realschule aus Bochum-Wattenscheid. Eine seltsame Begegnung unter himmelblauen Gewölbe: Klassenfahrer, Kardinal und Rockstars in der ersten Reihe, die Schüler haben am Tag zuvor länger gefeiert. Heute Abend werden Peter Maffay und Band ihr erstes Konzert in Israel geben, ein deutscher Sänger vor dem Rathaus von Jerusalem, und gleich 100 Schüler hat Maffay mit seiner Stiftung und der Hilfe von Air Berlin eingeflogen. „Willkommen sollt Ihr sein, Eure Wurzeln zu entdecken“, sagt Patriarch Fouad Twal, „denn hier liegt der Ursprung Eures Glaubens.“ Wer in Israel reist, da hat er Recht, kommt an der Religion nicht vorbei.
11.38 Uhr. „Einen Moment noch, Peter!“ Der Rockpolitiker hat eine Verabredung mit Staatspräsident Shimon Peres, die Schüler aber haben zum Ende der Pressekonferenz noch was vorbereitet. „Keep on rocking“, steht auf dem Plexiglas-Pokal. „Wir sagen danke, deine Projektkinder.“ Es ist ja bereits der dritte Austausch, den Maffays Stiftung, das Land NRW und die Friedensstiftung des israelischen Präsidenten Shimon Peres mit dem Projekt „Begegnungen“ fördern. Zwanzig Pestalozzi-Schüler waren schon letztes Jahr hier, und die Israelis und Palästinenser kamen im März zum Gegenbesuch nach Bochum, um Fußball zu spielen, Trikots zu entwerfen, Freundschaften zu schließen und, ja, sich zu verlieben.
Aufforderung zum Mitsingen
Aber warum Bochum? Das hat viel mit seinem Freund und Helfer Sascha Hellen zu tun, der in Bochum viele Fäden zieht. Die einfachere Antwort ist aber: Warum nicht hier beginnen? „Die Pestalozzi-Realschule ist zu einem Signalgeber für die ganze Gegend geworden“, sagt Maffay. Vor zwei Jahren schon hatte er mit israelischen, palästinensischen und Bochumer das Lied „We care“ erarbeitet. „Heute Abend brettern wir das Ding in voller Besetzung quer über den Platz“, sagt Gitarrist Peter Keller. Es ist eine Aufforderung zum Mitsingen.
11.43 Uhr. Pippo ist verschwunden. Der Drummer. Ohne den läuft das heute Abend nicht. Niemals. Dabei sind Alina, Sebastian und die zwei anderen schon aufgeregt genug (ohne es sich anmerken zu lassen). Erst im März, als die Israelis und Palästinenser in Bochum waren, hatte die Schülerband „Past“ ihren ersten großen Auftritt. In der Schulaula … und Maffay hat sie gesehen. Sie eröffnen das Konzert heute. Nur wie – ohne Schlagzeuger?
11.47 Uhr. 37 Grad draußen. Das zeigt das Thermometer im Bus. Die einen dösen, andere gibbeln. Klassenfahrt eben. Aber das Ziel ist nicht mal eben. „Ich möchte Ruhe im Bus, wenn ich über den Holocaust rede!“, ruft Tourleiter Schmullig Lahar. Einige verdrehen die Augen, soll er mal nicht persönlich nehmen. Tut er aber. „Mein Vater hatte 17 Geschwister. Drei sind geblieben. Meine Mutter hatte 12 Geschwister. Vier haben überlebt. Ich bin ’48 geboren, in einem Flüchtlingslager in Transsylvanien, nicht weit von Peter Maffays Geburtsort. Er ist ein Jahr jünger als ich“ … und es ist still im Bus. Wir fahren nach Yad Vashem.
Ein Baum für jeden Menschen
12.37 Uhr. Pippo ist gefunden, erfährt Lahar übers Telefon. Das Gassengewirr des Bazars – in Begleitung von Nicole. Aber Lahar war gerade dabei, zu erklären, dass jeder Baum in der Holocaust-Gedenkstätte eine Bedeutung hat. 25.000 Bäume, einer für jeden Menschen, der mit dem Einsatz des eigenen Lebens Juden gerettet hat, Lichter im Dunkeln. Geschichten aus Geschichte. Und diese Architektur, Beton über Felsklüften: Die Welt ist eine Brücke (aber Du brauchst keine Angst zu haben, denn Gott ist mit Dir), so geht eine jüdische Weise, sagt Lahar. Und man muss an das Maffay-Lied denken.
13.24 Uhr. Müde, hungrig, nur anderthalb Stunden Zeit. Das große Yad Vashem im Schnelldurchlauf. Vor den Schuhen der Toten, eingelassen im Boden, aber ist eine Bank. Die da bilden ein Paar, sagt ein Mädchen. Und die da könnte es noch heute geben.
13.35 Uhr. Ist das nicht der Raum vom Foto mit Ebru? Die war schon letztes Jahr hier, in der Halle der Namen. Markus Lamb und Philipp Schmidt haben das Bild in der Aula hängen sehen. Die ersten Gruppen haben als Botschafter gewirkt, genau wie Peter Maffay das beabsichtigte. Der Raum verstört und verzaubert: Eine Rotunde mit Aktenordnern, darin rund sechs Millionen Namen. Eine Kuppel mit Bildern. Und ein Abgrund, der sich erst öffnet, wenn man sich darüberbeugt. „Da unten liegt eine Sonnenbrille“, sagt Markus. Wer in Israel reist, muss immer damit rechnen, dass die Geschichte nach der Gegenwart greift.
Jetzt erst recht!
14.08 Uhr. Vor wenigen Tagen erst gab es wieder Tote, die Aktivisten des „Hilfskonvois“, der die Gaza-Blockade durchbrechen wollte. Auch deswegen haben die Pestalozzis diskutiert, ob sie überhaupt fahren sollen. Besonders im Kurs Praktische Philosophie. Die Mehrheit war zuerst dagegen, auch sie selbst, sagt Merve Söylemez. Fast alle im Kurs sind Muslime. Aber haben nicht auch einige Bands wie Limp Bizkit ihre Konzerte abgesagt? Peter Maffays Haltung ist: „Man darf den Radikalen nicht das Feld überlassen. Jetzt erst recht.“ Für Merve gab den Ausschlag: „Ich wollte hier mit den Jugendlichen diskutieren.“ Und so fragen die türkischen Mädchen der Gruppe am engagiertesten nach, sind vielleicht am besten vorbereitet, denn am Ende ist alles Reisen in Israel politisch.
16.12 Uhr. Subahan Sandikai aus Bochum freut sich auf ein Wiedersehen mit Adi, Amir und Rabee: Zwei Israelis, ein Palästinenser – sie haben sich beim ersten Austausch mit dem Deutsch-Türken angefreundet, über Facebook halten sie Kontakt. „Meine Eltern wollten zuerst nicht, dass ich mitfahre“, erinnert sich Subahan. In letzter Minute konnte er sie aber überzeugen, als ein Platz frei wurde durch die Schweinegrippe. Nun ist der 18-jährige Bank-Azubi im Vorstand des Vereins „Begegnungen“, der bald die NRW-Aktivitäten des Programms bündeln soll. „Ich war immer politisch interessiert, aber die Reise hat mich verändert“, sagt Subahan. „Jetzt setz’ ich mich ein. Die Stiftung hat mir gezeigt, dass man etwas bewegen kann.“
18.45 Uhr. Katja Linder wendet den Zettel in ihrer Hand. „Wie wird Israel reagieren, wenn ein weiteres Hilfsboot nach Gaza will?“ Sie soll diese Frage dem Sozialminister Yitzhak Herzog stellen. Es ist die politischste Frage heute, und siehe da, der Minister antwortet mit den News des Tages. „Wir werden auch alle weiteren Boote stoppen“, sagt Herzog. „Aber wir werden auch die Blockade lockern und mehr Güter nach Gaza lassen.“ Aber nun ist es genug mit diesem Ernst, denn gleich beginnt das Konzert. Und draußen warten Adi, Amir, Rabee und all die anderen neuen Freunde.