Bochum. Vier Experten informierten am Donnerstag Abend, 18. Februar 2010, in der vollbesetzten Cafeteria zum Thema „Ich bin dann mal 'weg' – Epilepsien können jeden treffen”
Fallsucht, heilige Krankheit, Besessenheit – in der Geschichte gab es viele Namen für die Epilepsie. Aber auch heute noch werden Betroffene häufig stigmatisiert und sozial isoliert. „Klar eine Folge mangelnder Aufklärung in der Bevölkerung”, meinte Privatdozent Dr. Jörg Wellmer beim WAZ-Nachtforum „Ich bin dann mal 'weg' – Epilespien können jeden treffen”. Zusammen mit drei Kollegen und moderiert von WAZ-Redaktionsleiter Werner Conrad hielt der Leiter des Epilepsie-Zentrums der Ruhr-Uni Vorträge und beantwortete die Fragen aus den Reihen der rund 250 Gäste in der Cafeteria des Knappschaftskrankenhauses Langendreer (KKL). Das Publikum nutzte die Gelegenheit, jeweils nach den Vorträgen Fragen an die Experten zu stellen. Besonders den Medikamenten galt das Interesse der Menschen: „Muss ich wirklich so viele verschiedene Mittel nehmen?”, „Ist die Dosierung nicht zu hoch?”. Bereits Prof. Uwe Schlegel, der Direktor der Neurologischen Klinik am KKL, der den Anfang machte, musste viele Fragen beantworten. Am Beispiel von Wolfgang Thiele (61) und seiner Frau Hiltrud erklärte er im Patientengespräch einen Krankheitsverlauf.
„Epilespie ist ein Massenphänomen, aber keins von der Stange”, eröffnete Wellmer der gleich zwei Vorträge hielt. Ein bis fünf Prozent der Bevölkerung sind von der Krankheit betroffen, die Auswirkungen sind aber sehr unterschiedlich – vom Verkrampfen des ganzen Körpers bis zu Bewusstseinsverlust. „Ebenso individuell sind die Behandlungsmöglichkeiten”, erklärte Wellmer. Trotzdem sei Epilepsie heute in den meisten Fällen gut behandelbar; ganz im Gegensatz zu früher. Mit einem kurzen historischen Rückblick machte Wellmer klar, dass sich in den letzten Jahren viel getan hat: Vom Brom bis zu Phenobarbital und darüber hinaus.
Das Wichtigste dabei sei nicht so sehr, die Anfälle zu verhindern, sondern die soziale Heilung, so Wellmer. „Die Lebensqualität ist das neue Ziel der Epilepsie-Medizin”, propagierte er. Bei der medikamentösen Behandlung müsse man deshalb einen Kompromiss zwischen Nebenwirkungen und Verringerung der Anfälle machen. Bei manchen Patienten gibt es außerdem die Möglichkeit, die Epilepsie chirurgisch zu heilen. „Wenn die Medikamente nicht anschlagen, kann man das prüfen”, sagte er vorsichtig, denn nicht bei jedem Betroffenen ist das möglich. Um herauszufinden, ob man ein OP-Kandidat ist, muss man ein langwieriges diagnostisches Verfahren über sich ergehen lassen.
Vor allem mit der modernen Bildgebung beschäftigte sich dann auch Prof. Lothar Heuser, der Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Nuklearmedizin am KKL. Er unterschied zwischen „akuten symptomatischen Anfällen”, verursacht durch Entzündungen, Blutungen oder ähnliches, und eigentlicher Epilepsie, verursacht durch dauerhafte Hirnschäden. „Mittel der Wahl sind Computer- und Kernspintomographie”, erklärte er.
Genaue Diagnosen sind bei Epilespie wichtig, denn „Bewusstlosigkeit kann viele Ursachen haben”, klärte Dr. Andreas Jähnert, als Oberarzt der Medizinischen Klinik am KKL auf. Oft würden mangelnde Durchblutung im Hirn mit Epilepsien verwechselt. Ein weiterer Grund die Menschen über Epilespie zu informieren.
Die Geschichte eines Betroffenen
Ein tiefer Einblick in eine individuelle Krankengeschichte bot sich dem Publikum beim WAZ-Nachtforum zu Epilepsie. Professor Uwe Schlegel, Direktor der Neurologischen Klinik am KKL, stellte seinen Patienten Wolfgang Thiele (61) und dessen Frau Hiltrud vor. Im Oktober 2007 hatte alles bei Wolfgang Thiele angefangen. Als Sportler hatte er am Berlinmarathon teilgenommen und die Gelegenheit zu einem Kurzurlaub genutzt. Von seinem üblichen Mittagsschlaf sei er dann nicht so richtig aufgewacht, berichtete seine Frau. „Er ist aufgestanden, ist herumgelaufen, hat immer die gleichen Bewegungen gemacht und die selben Fragen gestellt”, erzählte sie. Anschließend konnte er sich an nichts davon erinnern
„Typische Symptome für eine Epilepsie”, kommentierte Schlegel. Thiele habe den Vorfall, der sich später wiederholte, aber noch nicht richtig ernst genommen. Untersuchungen ergaben zunächst keinen Befund.
„Im März 2008 bin ich dann am Schauspielhaus ins Auto gestiegen und in Witten wieder aufgewacht, immer noch im Auto”, erinnerte sich Thiele. Unterwegs hatte er einen Unfall mit einem kleinen Blechschaden – er hatte nichts bemerkt.
Hiltrud Thiele machte dann die entscheidende Beobachtung: „Bei einem weiteren Anfall nach dem Mittagsschlaf bemerkte ich ein Schmatzen bei ihm.” „Ein klassisches Symptom für einen Schläfenlappen-Anfall”, wusste Schlegel den Hirnschaden zu lokalisieren. Schmatzen, stereotype Bewegungen und ein „geordneter Dämmerzustand seinen typisch dafür. Im Epilepsiezentrum Ruhr wurde die Epilepsie festgestellt. Wolfgang Thiele wird seitdem medikamentös behandelt und hatte keinen Anfall mehr.