Einmal im Jahr springt sogar das honorige Kunstmuseum über seinen Schatten: Statt zweidimensionaler visueller Impressionen an den Wänden gibt es dreidimensionale auf zwei Beinen. Einmal im Jahr ist Mummenschanz, und dabei wandelt jeck-alternative Zeitgeist durch die heiligen Museumshallen.

Das Vortäuschen falscher Tatsachen gilt unterm Jahr als moralisch verwerflich; beim Mummenschanz ist es das Eigentliche. Persönlichkeiten verstecken sich hinter Masken, hinter der Maskerade tritt die Persönlichkeit hervor. Paradox? Klar! Aber so ist nun mal der Fasching, darum ist er ja auch immer wieder herausfordernd für die Besucher/innen. 1100 waren es an diesem späten Samstagabend im Kulturhauptstadtjahr.

Konzept ist ausgereift

Das MuScha-Konzept hat über die Jahre Kontur gewonnen; inzwischen ist es unverwechselbar. Veranstalter Michael Retter, der seit acht Jahren das muntere Treiben organisiert, hat wie immer alles richtig gemacht. Musik-Mix und Saal-Deko, Top-Catering (Livingroom) und „Ruhe-Eckchen”: sogar an eine Raucher-Lounge war gedacht worden. Die Gäste dankten es durch ihr Kommen. Noch um 21 Uhr reichte die Schlange der am Einlass Wartenden bis hinaus auf die Straße. Selbst Schnee und Glatteis konnten die Party-People also nicht schrecken. Dafür herrschte später auf der Tanzfläche eine Oberhitze von gefühlten + 47,3°. Gut, dass wenigstens die Kühlschranktüren immer wieder aufgingen - wenn nämlich das nächste Fiege-Fläschchen zum „Löschen” fällig war.

"Kiss!" siegten beim Kostümwettstreit

Kostüme, Kostüme, Kostüme: die besten wurden präsmiert, wobei eine Viererbande reüssierte, die grell geschminkt die „Kiss!”-Helden der 70er Jahre auferstehen ließ (inkl. Gitarren). Der 2. Kostümpreis ging schweinchenrosa an „Cindy aus Marzahn”, die in diesem Fall aber keine Dame, sondern ein Herr war. Dritter auf dem Faschingstreppchen war ein Trio, das sich bis wie die Fabelwesen aus dem Blockbuster „Avatar” ausstaffiert hatte. Aber auch wandelnde „Löwensenf”-Tuben, eine Gruppe höchst identischer „Horst Schlämmers”, Patrick, der tumbe Seestern aus den „Sponge Bob”-Cartoons, Scheichs, Nonnen, Charlston-Ladys und die Panzerknacker waren zu bewundern. Auch eine spanische „Carmen” durfte nicht fehlen.

Strahlkraft über Bochum hinaus

Die Folgen der Finanzkrise bekam der Veranstalter so gar nicht erst zu spüren. Die Tickets gingen weg wie warme Semmeln, und was den Büffett- und Bier-Verzehr betrifft, durfte sich auch keiner beschweren. Inzwischen ist der Mummenschanz nicht nur ein lokales Phänomen, sondern eines mit Strahlkraft über Bochums Stadtgrenzen hinaus. Das mag neben der Kostümierungs-Gaudi daran liegen, dass diese Volldampf-Fete eine gigantische Tanzparty ist, wobei (fast) jeder Musik-Geschmack bedient wird – vom handgemachten Oldie-Rock der „Heartbeats” („Bad Moon Rising”) über die dynamischen Soul- und R&B-Nümmerchen der Jim Rockford Band (mit den phänomenalen Sänger/innen Daisy und Nelson Müller) bis zum House-Club mit DJ Florian im Souterrain der alten Museums-Cafete.

Gedränge vor der Bühne

Obwohl sich vor den Bühnen die Feierfreudigen so sehr knubbelten, dass kaum ein Durchkommen möglich war, gingen die Maskierten & Verlarvten freundlich und höflich miteinander um. Aber überrascht das? Der Museums-Fasching hat halt Stil, und den bekommt er auch und vor allen durch seine Gäste, die das Alles sofort wieder tun würden. Im nächsten Jahr, beim nächsten Mummenschanz.