Bochumer Polizei lädt Schnellfahrer zum Gespräch ein. Das dient der Unfallprävention – und berührt manche tief.
Verkehrssünder bekommen bei der Polizei erstmal einen Kaffee. Wer das Gaspedal besonders tief durchgetreten hat, bei dem klingeln die Beamten nach Zustellung des Bußgeldbescheids ein zweites Mal – und laden den Raser zu einem Gespräch aufs Präsidium ein. Mitreden ist freiwillig. Die sogenannte Gefährderansprache soll das Blei aus dem Fuß des Fahrers nehmen und helfen, Unfälle zu vermeiden.
„Das sind ja keine bösen Menschen, die da vor uns sitzen”, erklärt Polizeihauptkommissar Rolf Greulich die lockere Atmosphäre. „Wir wollen eine Verhaltensänderung bewirken und nicht die Person verteufeln.” Das ist auch das Ziel bei Daniel S.*. Der Paketzusteller hatte gerade einen unbefristeten Arbeitsvertrag unterschrieben. Die Freude darüber drückte offenbar aufs Gas: „30-er Zone, und dann war's passiert”, erinnert er sich. Mit 68 km/h auf dem Tacho wurde er gestoppt – mehr als doppelt so schnell wie erlaubt. Die Folge: ein Monat Führerscheinentzug und 160 Euro Bußgeld.
Das Geld fehlt Daniel S. im Portemonnaie; die Gefährderansprache der Polizei trifft ihn ins Herz – und in den Kopf. „Es hätte auch ein Kind da sein können. Ich wüsste nicht, ob ich dann mit meinem Leben noch klarkommen könnte”, spielt er durch, was hätte passieren können. Diese Gedanken sind genau das, was die Polizei mit ihrer Gefährderansprache erreichen will. Auch Greulich weiß: Zu schnell fahren, „das kann jedem schonmal passieren. Wichtig ist, dass wir uns bewusst sind, welche Konsequenzen das haben könnte.” Denn Einsicht ist der erste Schritt auf dem Weg vom Gas- zum Bremspedal.
NRW-weite Kampagne
"Sieger rasen nicht"
Seit 2008 werden in Bochum Raser zum Gespräch gebeten. Im Jahr 2009 wurden 18 Fahrer wegen extremer Geschwindigkeitsübertretung eingeladen. Zehn nahmen das Angebot an. Zu hohes Tempo ist die häufigste Ursache für tödliche Unfälle. Zum Jahresbeginn startete das Innenministerium eine landesweite Anti-Raser-Kampagne.
Damit das Gespräch nicht so schnell vergessen ist wie die nächste Radarfalle überfahren, gehen Greulich und seine Kollegen individuell vor. „Wir versuchen viel rauszufinden über die Lebenssituation”, erklärt der Hauptkommissar. Denn Raser ist nicht gleich Raser. Deshalb wählen die Beamten aus 90 verschiedenen Videos eins aus, das genau auf den jeweiligen Fahrer zugeschnitten ist. Einer älteren Dame zeigten sie zum Beispiel einen Film, in dem ein Kind im Alter ihrer Enkelin überfahren wird. „Sie ist in Tränen ausgebrochen”, beschreibt Greulich die Wirkung des Films.
Da die Teilnahme an den Gefährderansprachen freiwillig ist, ist die Polizei auf die Mitarbeit der Fahrer angewiesen. Greulich betont: „In der Prävention kann ich nichts erzwingen.” Stefan S. rät jedem Betroffenen: „Sie sollten's definitiv annehmen.” Seine Einstellung nach dem Gespräch: „Es ist eben nicht einfach ins Auto steigen und losfahren.”