Bochum. Die „Fettweg-Spritze“ verheißt schnelles und einfaches Abnehmen. Doch es gibt auch Risiken. Das sagen die Fachärzte der Bochumer Kliniken.

Vorher-Nachher-Bilder in den sozialen Medien sollen die „sensationellen Erfolge“ dokumentieren: Die sogenannte Abnehmspritze gilt als neuer Hype bei Menschen, die vermeintlich einfach und schnell Pfunde verlieren wollen. Doch auch in Bochum warnen Fachärzte vor möglichen Risiken und Nebenwirkungen – zumal das Medikament ursprünglich nur für Diabetiker bestimmt ist.

„Abnehmspritze“: Schönheits-Mediziner sind zunehmend gefragt

Das Geschäft mit der Schönheit floriert. Filler, Botox, Laser: Um bis zu 20 Prozent seien die Behandlungszahlen seit Corona gestiegen, konstatiert Dr. Klaus Hoffmann, Leiter der Abteilung für ästhetisch-operative Medizin und kosmetische Dermatologie im St.-Josef-Hospital.

Einen Boom erlebe auch die Fettentfernung, sagt der Facharzt. Mit extremer Hitze, Kälte sowie elektromagnetischen Impulsen mit der Wirkung von 20.000 Rumpf- oder Kniebeugen binnen 30 Minuten wird den Fettzellen der Garaus gemacht: „nachhaltig, sicher und wirkungsvoll“, betont Hoffmann.

„Ich habe noch nie ein Rezept über Ozempic ausgestellt“, sagt Dr. Klaus Hoffmann, Leiter der Abteilung für ästhetisch-operative Medizin und kosmetische Dermatologie im Bochumer St.-Josef-Hospital.
„Ich habe noch nie ein Rezept über Ozempic ausgestellt“, sagt Dr. Klaus Hoffmann, Leiter der Abteilung für ästhetisch-operative Medizin und kosmetische Dermatologie im Bochumer St.-Josef-Hospital. © KKB

Mit der Spritze soll die Lust zu essen sinken

Bis zu 500 Euro pro Sitzung ruft das Hautteam der Bochumer Universitätsklinik bei Selbstzahlern (die Kassen winken meist ab) für seine High-Tech-Fettentfernungen auf. Preise, bei denen manche Menschen, die zu dick sind oder sich so fühlen, nach Alternativen Ausschau halten – und die „Fettweg-Spritze“ entdecken.

Naturbelassene, auf Gallensäure basierende Präparate würden in kleinen Mengen auch in seiner Klinik angewendet, sagt Hoffmann. Kritisch betrachtet er hingegen das gängigste Medikament: Ozempic. Dessen Wirkstoff Semaglutid beeinflusst die Appetitregulation. „Das Gehirn sendet ein Sättigungssignal aus. Die Lust zu essen sinkt. Das Essen wird länger im Magen gehalten. Deshalb verlieren Menschen, die Ozempic einnehmen, bis zu 17 Prozent ihres Körpergewichts“, erklärt Klaus Hoffman.

Für die wirklich Betroffenen gibt es schon Lieferprobleme

Die Nachteile: Das Medikament ist nur für Typ-2-Diabetiker zugelassen. Wird es trotz Rezeptpflicht zum „Lifestyle-Produkt“, verschärften sich die schon jetzt erheblichen Lieferproblem. Die Spritzen – Kosten: mehr als 200 Euro für drei Monate – müssten dauerhaft gesetzt werden. Und: Bei einem von zehn Patienten träten Nebenwirkungen auf; meist Durchfall, Erbrechen und Übelkeit, sagt Hoffmann.

Noch nie habe er ein Rezept über Ozempic ausgestellt. „Dies gehört in die Hand der darauf spezialisierten Fachärzte.“ Erste Wahl seien bei ihm stets die Fettabsaugung oder -entfernung mit hierfür zugelassenen Geräten.

Diabetiker verbessern ihre Blutzucker-Werte

Es sei „sinnvoll, die aktuell zur Verfügung stehenden Kontingente an Semaglutid vornehmlich für die Therapie des Typ-2-Diabetes einzusetzen“, bekräftigt Prof. Juris Meier, Chefarzt der Inneren Medizin im Augusta-Krankenhaus und Leiter des Diabeteszentrums Ruhrgebiet.

Bei Diabetikern leiste Ozempic wertvolle Dienste, so Meier. Die Effekte – Drosselung des Hungergefühls, Verzögerung der Magenentleerung – führten zu einer deutlichen Verbesserung des Blutzuckers und zur Gewichtsabnahme von teilweise mehr als zehn Kilogramm.

Kosten werden nicht von den Krankenkassen erstattet

Das gelte zwar auch für Nicht-Diabetiker. „Allerdings muss bedacht werden, dass die Gewichtsabnahme in der Regel nur so lange anhält, wie das Präparat verabreicht wird. Das heißt: Nach Beendigung der Therapie steigt das Gewicht wieder“, warnt der Chefarzt.

Auch müssten „die durchaus beachtlichen Kosten der Therapie berücksichtigt werden, die in der Behandlung des Übergewichtes nicht von den Krankenkassen erstattet werden dürfen“, so Meier. Auch er berichtet von zunehmenden Engpässen: „Teilweise können Patienten mit Typ-2-Diabetes nicht mehr ausreichend mit der Medikation versorgt werden.“

Die „Abnehmspritze“ sollten nur in Ausnahmefällen zur Gewichtsreduktion angewandt werden, sagt Prof. Juris Meier, Chefarzt der Inneren Medizin im Augusta-Krankenhaus und Leiter des Diabeteszentrums Ruhrgebiet.
Die „Abnehmspritze“ sollten nur in Ausnahmefällen zur Gewichtsreduktion angewandt werden, sagt Prof. Juris Meier, Chefarzt der Inneren Medizin im Augusta-Krankenhaus und Leiter des Diabeteszentrums Ruhrgebiet. © Augusta

Augusta-Chefarzt: „Abnehmspritze“ erst ab BMI von 35

Seine Schlussfolgerung: Die „Abnehmspritze“ sollten nur in Ausnahmefällen zur Gewichtsreduktion angewandt werden – möglichst erst ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 35. Ab 30 spricht man von Fettleibigkeit (Adipositas). Dabei sei eine fachärztlich Überwachung dringend zu empfehlen.

Die Pharma-Industrie hat den Multi-Millionen-Markt längst für sich entdeckt. Ende Juli kommt das Medikament Wegovy in Deutschland auf den Markt: gleichfalls mit dem Appetithemmer-Wirkstoff Semaglutid, gleichfalls rezeptpflichtig, gleichfalls nicht als Kassenleistung. Es ist für die Adipositas-Therapie zugelassen, wird in den sozialen Medien aber schon als „Abnehmspritze der Stars“ gefeiert.