Bochum. Reerdigung ist eine neue Bestattungsform. In 40 Tagen wird der Körper zu Erde. Eine Bochumerin hofft, dass dies bald auch in NRW erlaubt ist.
Harriet Dohrs ist über 80 Jahre alt. Sie ist aktiv, sie steht mitten im Leben. Aber sie bereit sich vor. Auf den Tod. Und auf die Beerdigung. Schon lange macht sich die Bochumerin Gedanken darüber, wie sie bestattet werden möchte. Am liebsten, sagt sie, würde sie zu Erde werden. Zu Humus, auf dem Pflanzen gedeihen.
Toter Körper wird binnen 40 Tagen in Erde verwandelt
„Mir liegt sehr viel daran, der Natur zurückgegeben zu werden. Das ist doch eine schöne Vorstellung“, sagt sie. Und hofft, dass bald schon in Nordrhein-Westfalen eine Bestattungsform erlaubt wird, die in Deutschland bislang nur in Schleswig-Holstein im Rahmen eines Pilotprojekts möglich ist: die Humankompostierung.
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„Reerdigung“ nennt das Berliner Start-up-Unternehmen „Meine Erde“ das in den USA entwickelte Verfahren. Dabei wird der tote Körper in einem 2,50 Meter langen sargähnlichen „Kokon“ auf pflanzliche Materialien wie Blumen, Grünschnitt und Stroh gebettet. Der Kokon wird in eine sogenannte „Wabe“ gelegt, in der sich unter leichten Wiegebewegungen und bei Luft- und moderater Wärmezufuhr der Körper im Verlauf von 40 Tagen in Erde verwandelt.
Klassische Bestattung ist für viele Menschen zu teuer
„Für mich wäre das genau das Richtige“, sagt Harriet Dohrs. „Ich bin Naturfreund. Wenn ich als Humus ende, das ist doch ganz toll.“ Nachdem sie vor einigen Tagen in der WAZ gelesen hat, dass die Ratsfraktion der Stadtgestalter vorschlägt, die Bestattung von Urnen im eigenen Garten, ja womöglich die Aufbewahrung in der Wohnung von Hinterbliebenen zu erlauben, hat sie sich an die Redaktion gewendet.
„Viele ältere Leute können sich heute kaum noch eine Bestattung leisten. Die kostet doch mindestens 4500 Euro.“ Sie wisse von einer Frau, die ihren eingeäscherten Ehemann heimlich auf dem Friedhof begraben habe. Es müsse doch Alternativen geben. Nicht nur aus finanziellen Gründen.
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Tod und Bestattung beschäftigt viele Menschen
„Der Tod und die Bestattung beschäftigt viele Menschen“, sagt Caren Baesch (53). „Und immer mehr wünschen sich eine alternative Bestattung.“ Sie bietet diese „alternative Bestattungen“ und „individuelle Abschiednahmen“, wie es auf ihrer Homepage heißt, seit mehr als fünf Jahren an. Seit mehr als zehn Jahren ist die frühere Versicherungsangestellte außerdem in der Trauerarbeit engagiert. Reerdigungen bewirbt sie nicht aktiv, weil sie derzeit eben nur in Schleswig-Holstein möglich sind. „Aber ich begrüße sie“, sagt Baesch.
Humankompostierung belastet nicht die Umwelt
Bei der Humankompostierung kommen laut „Meine Erde“ weder fossile Brennstoffe noch Chemikalien, zusätzliche Mikroorganismen oder Insekten zum Einsatz. Anders als bei der immer beliebter werdenden Einäscherung werde die Umwelt durch das Verbrennen nicht belastet. Nicht zuletzt das begeistert die beiden Bochumer Frauen.
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NRW-Friedhöfe bieten ungenutzte Gebäude an
2100 Euro kostet eine Reerdigung, so das Unternehmen „Meine Erde“. „Hinzu kommen noch die Kosten für die Grabstelle und - wenn gewünscht - die Trauerfeier.“
Das Startup hofft, die neue Bestattungsform in den nächsten Jahren in allen Bundesländern anbieten zu können. „In NRW sind wir wie in anderen Ländern dazu in Gesprächen“, so Firmensprecherin Olga Perov. „Gerade aus NRW haben uns bereits mehrere Friedhöfe kontaktiert, die ungenutzte Bestandsgebäude haben, in denen Alvarien entstehen könnten. Die Gespräche mit den zuständigen Behörden laufen.“
Allein Mikroorganismen würden die Transformation leisten, so „Meine Erde“. Ähnlich wie bei einer Einäscherung bleiben auch bei der Reerdigung die Knochen unzersetzt. Sie würden – so wie bei einer Einäscherung – zermahlen und der entstandenen Erde zugesetzt. Aus einem 85 Kilogramm schweren Körper und den organischen Materialien, auf die er gebettet wurde, würden so etwa 120 Kilogramm neue Erde entstehen.
Bestatterin betrachtet Reerdigung „als Zukunftsprojekt“
Indes: Mit nach Hause genommen werden darf die Erde nicht. Sie muss in einem Erdgrab auf dem Friedhof bestattet werden – wenn auch nicht zwei Meter tief und auch nicht in einem Sarg. So jedenfalls ist der Stand heute. „Es wird nicht von heute auf morgen in ganz Deutschland möglich sein, sich reerdigen zu lassen“, sagt Caren Baesch. Sie betrachtet die Einführung der neuen Bestattungsform als „Zukunftsprojekt, bei dem viele Player sich an einen Tisch setzen müssen.“ Gesprochen werden müsse dabei auch über die Frage des Verbleibs der Erde.
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Sie ist jedenfalls „sehr optimistisch“, dass die Reerdigung auf absehbare Zeit auch in Nordrhein-Westfalen möglich sein wird. Zumal Schleswig-Holstein kurz davor stehe, die neue Bestattungsform im Gesetz zu verankern. Harriert Dohrs hat sich bereits entschieden. „Ich möchte reerdigt werden.“ Und wenn das nicht in NRW möglich sein sollte? Dann eben in Mölln in Schleswig-Holstein, wo bislang das einzige Alvarium Deutschlands, eine ehemalige Kapelle auf dem Alten Friedhof an der Hindenburgstraße, mit besagtem Kokon steht.
„Würden Sie mich auch nach Mölln bringen?“, fragt die Seniorin mit einem Blick zu Caren Baesch; „ihrer Bestatterin“ wie sie sagt. „Ich will das auf jeden Fall.“