Bochum/Seoul. Eine 22-jährige Bochumerin hat die Halloween-Tragödie in Seoul hautnah miterlebt. „Ich hätte unter den Toten sein können“, sagt die Studentin.

„Auch ich hätte unter den Toten sein können“, sagt Giulia M. „Dass ich lebe, ist ein glücklicher Zufall.“ Beim Telefonat mit der WAZ steht die 22-Jährige am Freitag noch unter dem Eindruck der Katastrophe, die sich sechs Tage zuvor in Seoul ereignete. Mehr als 150 Menschen kamen ums Leben. Giulia aus Bochum war hautnah dabei.

Das Ausgehviertel in der südkoreanischen Hauptstadt, das binnen Minuten zur Todesfalle wurde, kennt die Weitmarerin gut. Nach dem Abitur an der Goethe-Schule war sie im Rahmen ihres Linguistik-Studiums an der Uni Düsseldorf für zwei Auslandssemester in Seoul. Für ein einmonatiges Praktikum bei einer Marketingfirma kehrte sie in diesem Herbst zurück.

Halloween-Katastrophe in Seoul: „Wie unser Bermudadreieck, nur enger“

Am vergangenen Samstagabend fährt sie von ihrer Airbnb-Wohnung mit der U-Bahn ins Zentrum. In Itaewon sind Halloween-Feiern angesagt. Seouls beliebteste Partymeile beschreibt Giulia (ihren vollen Nachname möchte sie nicht veröffentlicht sehen) „wie unser Bermudadreieck, nur sehr viel enger“.

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Dass der Andrang groß werden würde, habe sie nach den quälend langen Corona-Lockdowns erwartet, sagt die Bochumerin. Doch der Ansturm Zehntausender meist junger Menschen (später wird die Polizei von mehr als 100.000 sprechen) überrascht sie. „Es war unglaublich. Meine beiden Freunde und ich haben eine halbe Stunde gebraucht, um aus dem Bahnhof zu kommen.“

Wenige Meter schmal sind die Gassen im Ausgehviertel von Seoul, in denen das Unglück passierte.
Wenige Meter schmal sind die Gassen im Ausgehviertel von Seoul, in denen das Unglück passierte. © dpa

In den schmalen Gassen wurden es immer bedrohlicher

Je näher sie den Clubs kommen, desto bedrohlicher wird’s. In den schmalen Gassen, manche nur vier Meter breit, geht es Schulter an Schulter kaum vorwärts. „Es wurde gedrückt und gequetscht. Wir hielten uns an den Händen, um uns nicht zu verlieren.“

Die drei Freunde schaffen es in eine Bar. Sie feiern fröhlich und ausgelassen. Was draußen los ist, kriegen sie nicht mit, erzählt Giulia. Erst als sie gegen 23 Uhr aufbricht, um die letzte Bahn nach Hause zu erwischen, erkennt sie, dass etwas Furchtbares geschehen sein muss.

Bochumerin: „Diese Bilder werde ich nie wieder vergessen können“

„Weniger als hundert Meter neben unserer Bar sahen wir Rettungskräfte, die leblose Menschen reanimierten. Genau durch diese Seitenstraße sind wir vorher auch gelaufen.“ Ein Passant berichtet, dass wohl drei Jugendliche im Gedränge gestorben seien. Alsbald heißt es: mindestens 50.

„Ich bekam Panik, wollte nur noch weg!“, schildert die Bochumerin. Die Freunde lotsen sie aus dem Chaos. Sie sieht Tote und sterbende Menschen, alle so wie sie zwischen 20 und 30 Jahre. „Diese Bilder werde ich nie wieder vergessen können.“

In Seoul trauern die Menschen um die mehr als 150 Todesopfer, hier auf einer Straße in der Nähe des Unglücksortes.
In Seoul trauern die Menschen um die mehr als 150 Todesopfer, hier auf einer Straße in der Nähe des Unglücksortes. © dpa

Behörden sprechen von 156 Todesopfern

Erst später erfährt sie in den sozialen Medien vom ganzen Ausmaß der Tragödie. 156 Todesopfer sind es nach offiziellen Angaben. Totgetrampelt. Erdrückt. Erstickt. Erinnerungen an die Love-Parade-Katastrophe 2010 in Duisburg mit 21 Toten werden wach: damals wie jetzt als Folge eines Behördenversagens, meint Giulia. „Niemals hätten es die Ordnungskräfte zulassen dürfen, dass so viele Besucher in das Viertel strömen. Es war doch klar, dass es voll wird. Trotzdem habe ich keinerlei Kontrollen gesehen.“

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Dass sie mit dem Leben davongekommen ist: „Glück und Zufall“, sagt Giulia, und am Telefon wird es für einige Sekunden still. Sofort habe sie ihre Freunde und Familie in Bochum angerufen. „Die waren nach den ersten Nachrichten in großer Sorge. Ich habe nur immer wieder gesagt: Mir geht’s gut.“

Studentin bleibt noch bis Anfang Dezember in Südkorea

Noch bis Anfang Dezember bleibt die Studentin in Seoul. Zum Feiern werde bis dahin niemandem zumute sein, glaubt sie und weiß: Die Begrüßung ihrer Liebsten daheim in Bochum wird diesmal besonders innig und erleichtert ausfallen.