Bochum-Bergen. Das ehemalige Zwangsarbeiterlager in Bochum soll Erinnerungsstätte werden. Dafür suchen die Beteiligten nun Dokumente und Zeitzeugen.

Nur die wenigsten dürften das heute noch wissen: Im Juli 1943 gab es in Bochum 100 Lager mit über 17.000 Zwangsarbeitenden verschiedener Nationalitäten, die in Bochumer Betrieben - vor allem im Bergbau und der Stahlindustrie - arbeiten mussten. Viele sichtbare Zeugnisse davon gibt es schließlich nicht mehr. Ein Massengrab mit 1720 Zwangsarbeitenden auf dem Friedhof am Freigrafendamm erinnert noch daran.

Das soll sich ändern, eine Erinnerungsstätte soll entstehen. Drei Orte in Bochum stehen bereits unter Denkmalschutz, um an das Schicksal der Menschen zu erinnern: Das ehemalige Zwangsarbeiterlager der Zeche Lothringen, das Bodendenkmal des ehemaligen Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlagers "Heinrichstraße" der Bergbau AG Lothringen und der Eisen- und Hüttenwerke AG sowie das ehemalige "Ausländerlager" der Krupp-Zeche "Constantin der Große" an der Bergener Straße.

Siedlung für Zechen-Arbeiter

Um letztgenannte dreht sich auch die nun geplante Erinnerungsstätte. "Im Zweiten Weltkrieg wurde eine Siedlung mit neun Gebäuden als Lager für auf der Zeche eingesetzte Zwangsarbeiter errichtet, etwa 600 Mann sollen dort untergebracht worden sein", sagt Martin Holz, Vorsitzender der SPD Bergen, die die Errichtung einer Erinnerungsstätte mit angestoßen hat. Überwiegend seien die zwangsverpflichteten Personen aus Polen und Galicien gekommen. "Die Krupp-Zeche besaß mehrere Lager zur Unterkunft von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aus den besetzten Ostgebieten", informiert Holz. 3.500 Zwangsarbeiter hätten sich 1944 auf den Constantin-Schachtanlagen befunden - knapp 40 Prozent der Belegschaft.

Einzigartiges Überbleibsel

Im Jahr 2003 wurde die Siedlung an der Bergener Straße von der Stadt in die Denkmalliste aufgenommen. "Sie gilt als nahezu einzigartiges bauliches Überbleibsel zur Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkrieges in Bochum und Nordrhein-Westfalen", sagt Holz.

"Da es, anders als üblich, nicht in Holz-, sondern in Ziegelbauweise errichtet wurde, blieb die Siedlung, bedingt durch fehlenden Wohnraum, nach dem Krieg bestehen und wurde nahtlos zu Bergarbeiterheimen umgenutzt", weiß Holz. Im Lager Bergen seien in den 1950er Jahren etwa 100 Bergleute untergebracht worden.

Wohnungen stehen leer

"Die heute im Besitz der Stadt Bochum stehende Siedlung diente seit den 1960er Jahren vorwiegend ausländischen Arbeitnehmern als Unterkunft. Modernisierungen wurden nur noch in geringem Maß vorgenommen", sagt Holz.

Bedingt durch veränderte Wohnstandards habe sich die Stadt entschieden, freigezogene Wohneinheiten nicht mehr zu vermieten. "Es stehen deshalb zunehmend Wohnungen leer", klagt Holz.

Diskussion über Nutzung

Bereits 2017 wurde die Problematik erstmals in politische Gremien eingebracht, aktuell liegt sie in den Händen des Bochumer Stadtrates. Im kleinsten und freistehenden Gebäude soll eine Erinnerungsstätte entstehen. Die bestehenden Wohnverhältnisse in weiteren Gebäuden sollen ohne tiefgreifende Modernisierung beibehalten und die leerstehenden Wohneinheiten anderweitig genutzt werden - etwa für offene Künstlerateliers.

Uli Borchers vom Bündnis gegen Rechts, das wie auch Stadtarchiv und Arbeitskreis Geschichte Bochum Nord an der Erinnerungsstätte beteiligt ist, hält die Erinnerung an die Zwangsarbeiter aus mehreren Gründen für wichtig. "Sie wurden gegen ihren Willen gewaltsam aus ihren Heimatländern geraubt, zu harter Arbeit gezwungen, medizinisch schlecht versorgt und mussten hungern", sagt er.

Aufruf an die Bevölkerung

Sie seien von deutschen Konzernen bestellt und ausgebeutet worden. "Der Krupp-Konzern als Eigentümer der Zeche Constantin ist verantwortlich für die Zwangsarbeit der Menschen aus der Ukraine, die im Lager Bergener Straße gefangen gehalten wurden", sagt er.

Die Beteiligten wollen von der Bevölkerung wissen: Wer erinnert sich noch an die Zeit und hat sogar Fotos und Dokumente? "Über das Datum, wann das Lager von der Zeche Constantin zur Unterbringung der Zwangsarbeiter genau errichtet wurde, bestehen noch Unklarheiten", sagt Holz. Am wahrscheinlichsten sei eine Fertigstellung im Jahr 1944.

Fotos und Briefe gesucht

"Vielleicht können die Bochumer in alten Fotoalben, zum Beispiel im Keller, nachschauen, ob sie Aufnahmen von und mit Zwangsarbeitenden haben", sagt Holz. Denkbar seien auch alte Arbeitsbücher und Briefe, die mit dem Thema im Zusammenhang stehen.

Ebenso sind die Initiatoren an Zeitzeugen interessiert, die von ihren Erinnerungen an "Fremdarbeiter" berichten können.

Säule der Kriegswirtschaft

Wer etwas zur Erinnerungsstätte beisteuern möchte, kann sich bei einer der vier beteiligten Organisationen melden. Kontaktdaten gibt's im Netz.

Gegen Kriegsende waren mehr als 150.000 Zwangsarbeiter im Ruhrbergbau "eingesetzt". 1944 arbeiteten in der deutschen Kriegswirtschaft über 7,6 Millionen Zwangsarbeiter - knapp 20 Prozent der Gesamtbeschäftigten. Auch Frauen wurden zur Zwangsarbeit verschleppt.