Bochum. Mit Spitzentechnologie rekonstruiert ein Spezialteam der Polizei schwere Verkehrsunfälle. Herzstück ist dabei ein 3D-Scanner.

Wo und wann auch immer sich in Bochum, Herne und Witten ein Unfall mit schweren Auswirkungen ereignet, rückt das „Unfallaufnahmeteam“ der Polizei aus. Der Begriff klingt sehr unscheinbar und unmodern, tatsächlich sind dort aber absolute Spezialisten am Werk, die mit Spitzentechnik arbeiten.

Ziel ist es, den Hergang eines schweren Unfalls besser und damit auch für alle Beteiligten gerechter rekonstruieren zu können.

Polizei Bochum hat drei Vermessungstechniker in Vollzeit angestellt

Auch interessant

Um dies auf Top-Niveau erreichen zu können, hat die Bochumer Polizei an ihrem Standort an der Universitätsstraße 108 sogar drei externe Fachleute in Vollzeit eingestellt: Vermessungstechniker. „Die haben das von der Pike auf gelernt und sind für uns unersetzlich“, sagt Polizeihauptkommissar Patrick König, stellvertretender Leiter des Teams. Zusammen mit elf Polizeibeamten ist das „VU-Team“ eines der größten seiner Art in NRW. Auch ein besonders erfahrener Kfz-Mechaniker hilft als Angestellter der Polizei bei der Unfallklärung.

Polizeibeamter Patrick König vor einem Bild, das einen schweren Alleinunfall an der Ruhr-Universität Bochum zeigt. Links das zweidimensionale Foto, rechts der dreidimensionale Scan, der sich in alle Perspektiven drehen lässt. 3D-Scans in Farbe sind auch möglich, aber auf einem Schwarz-Weiß-Scan können teilweise Spuren (zum Beispiel auf der Fahrbahn) besser sichtbar gemacht werden.
Polizeibeamter Patrick König vor einem Bild, das einen schweren Alleinunfall an der Ruhr-Universität Bochum zeigt. Links das zweidimensionale Foto, rechts der dreidimensionale Scan, der sich in alle Perspektiven drehen lässt. 3D-Scans in Farbe sind auch möglich, aber auf einem Schwarz-Weiß-Scan können teilweise Spuren (zum Beispiel auf der Fahrbahn) besser sichtbar gemacht werden. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Herzstück ihrer Ausrüstung ist ein 3D-Scanner, der auf einem Dreibein steht: Mit diesem Zaubergerät misst die Polizei einen Unfallort mit sämtlichen relevanten Spuren von mehreren Standorten derart detailliert ab, dass jeder Millimeter und jede Perspektive wie unter einer Lupe ausgemessen und dreidimensional auf dem Bildschirm dargestellt werden kann. Die Technik ist so ausgereift, dass die Unfallbilder und die Spuren auf dem PC-Bildschirm in alle Richtungen gedreht und somit der Unfallort sozusagen vom Schreibtisch aus begangen oder „abgeflogen“ werden kann.

Auch Gefälle, Steigungen und andere Daten sind per 3D-Scan leicht zu ermitteln

„Man kann jedes Maß nehmen, welches benötigt wird, nicht nur Längen, zum Beispiel auch Höhen, Diagonale und so weiter“, erläutert König. „Die Vermessung ist sehr genau.“ Durch die Dreidimensionalität kann die Polizei sogar Gefälle, Steigungen und andere Daten abbilden, welche auf einem zweidimensionalen Lichtbild eventuell nicht ersichtlich sind. Das erleichtert es dem Team enorm, die Sekunden vor und nach einer Kollision nachzuvollziehen und die Unfallursache beziehungsweise das Verschulden zu klären.

Außerdem setzt das VU-Team digitale Thermometer (Fahrbahn und Luft), Lackschadenmessgeräte, Luxmeter (Lichtstärke), „Dellenspiegel“ und andere Hilfsmittel ein. „Wir erheben alle Daten und Umstände, die benötigt werden, um den Unfall durch einen Gutachter rekonstruieren zu lassen, wenn nötig“, sagt König. „Es ist sehr spannend hier.“

Bochumer VU-Team rückt nur bei schweren Unfällen aus, nicht bei kleinen Blechschäden

Unfallort auch mit VR-Brille einsehbar

Dank der 3D-Scans vom Unfallort kann eine Unfallstelle auch mittels einer „VR-Brille“ (virtuelle Realität) begangen werden. Das könnte auch eine Zukunft in Gerichtsprozessen haben, wenn die Schuldfrage nach Verkehrsunfällen verhandelt wird.Das Unfallteam verfügt auch über Geräte, die bei neueren Autos digitale Daten zum Einschlag des Lenkrades, zur Gaspedalstellung, zum Bremspedal und zu ABS und ESP auslesen kann – bis fünf Sekunden vor einem Aufprall wird das gespeichert. „Diese Daten sind für uns unersetzlich“, so PHK König.

300 bis 400 Verkehrsunfälle bearbeitet das VU-Team pro Jahr und ist an 364 Tagen rund um die Uhr einsatzbereit. Kracht es so richtig auf der Straße oder gibt es Schwerverletzte oder Tote, sind die Teammitglieder zusätzlich zu weiteren Polizeikräften immer zu dritt am Unfallort: Einer vernimmt Beschuldigte oder Zeugen in einem speziellen Polizei-Transporter mit Schreibtisch, einer fotografiert, einer scannt und vermisst.

Auch für Unfälle außerhalb von Straßen sind die Spezialisten zuständig. Im vorigen Oktober waren zwei Jungen (7, 10) in einer großen Halle eines Bauernhofes in Bochum aus drei Metern Höhe von einem Gabelstapler heruntergefallen und schwer verletzt worden. Der erwachsene Fahrer wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung angezeigt. Die Halle und der Gabelstapler sind bis ins Detail durchgescannt worden.