Bochum. Als „Corona-Helden“ wurden sie gefeiert. Nun fühlen sich Pflegefachkräfte in Bochum übergangen. Die neue Pflegekammer NRW steht in der Kritik.

In Bochum formiert sich Protest gegen die neue NRW-Pflegekammer. „Der Ärger und die Skepsis bei vielen Beschäftigten sind groß“, heißt es in den Krankenhäusern. Die Gewerkschaft Verdi bekräftigt: „Die Pflegekammer ist überflüssig. Die massiven Probleme in der Pflege werden dadurch nicht gelöst.“

Für die mehr als 200.000 Pflegefachkräfte in Nordrhein-Westfalen soll eine eigene Standesvertretung gegründet werden. So will es die NRW-Landesregierung, um damit „die politische Mitsprache und Selbstverwaltung der Berufsgruppe zu stärken“. Die Mitgliedschaft soll für alle Examinierten (drei Jahre Ausbildung) verpflichtend sein. Die Kammer, so heißt es, soll u.a. Qualitätsrichtlinien entwickeln, für die Fort- und Weiterbildung zuständig sein und zum Sprachrohr aller Pflegerinnen und Pfleger werden.

Pflegekammer: Die meisten Kliniken haben die Daten bereits weitergeleitet

Auf WAZ-Anfrage bestätigen das Katholische Klinikum Bochum, das Bergmannsheil und das Knappschaftskrankenhaus, die Daten der Beschäftigten nach vorheriger Information an den Errichtungsausschuss der Pflegekammer weitergeleitet zu haben: 700 im Bergmannsheil und 500 in Langendreer. Lediglich das Augusta-Krankenhaus ist derzeit noch in der Aufarbeitung der Daten. Kritische Stimmen seien in den Krankenhäusern bisher nur vereinzelt vernommen worden.

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Das hört sich in den Mitarbeitervertretungen Bochumer Kliniken anders an. „Es grummelt“, heißt es im Katholischen Klinikum, wo sich nach WAZ-Informationen Mitarbeitende per Widerspruch gegen die Weitergabe ihrer Daten gewehrt haben. Vergeblich: Die Arbeitgeber sind dazu verpflichtet. „Genau das ist der Punkt“, ergänzt eine MV-Sprecherin im Augusta: „Die Zwangsmitgliedschaft ist eine Katastrophe. Dass man keine Wahl hat, wird als Hohn empfunden. Die Kammer erscheint uns eher als Kontrollorgan denn als Interessensvertretung. Und dafür wird man auch noch zur Kasse gebeten!“

Beitrag soll zehn bis 15 Euro monatlich betragen

Von Gebühren zwischen zehn und 15 Euro monatlich ist in den Belegschaften und bei Verdi die Rede. Die genaue Höhe stehe noch nicht fest. Sie soll von der Kammer-Vollversammlung bestimmt werden, die bis Frühjahr 2022 gewählt werden soll. Schon jetzt sei klar, dass sich der Beitrag nach spätestens zwei Jahren erhöhen wird, glaubt die Gewerkschaft. Das Land stellt als Anschubfinanzierung fünf Millionen Euro bereit, um die Beiträge anfangs niedrig zu halten.

Verdi verweist auf Schleswig-Holstein

Die Gewerkschaft Verdi verweist bei ihrer Kritik an einer Pflegekammer auf Niedersachsen und Schleswig-Holstein.

Dort hatten sich die Pflegekräfte bei einer – auch für NRW geforderten – Vollbefragung gegen die Einrichtung der Kammern ausgesprochen: in Schleswig-Holstein mit 91,7 Prozent.

Die Planungen für eine Kammer wurden in beiden Bundesländern gestoppt.

Das „Zwangsgeld“, wie es von Gegnern bezeichnet wird, stoße vermehrt auf Widerstand, beobachtet Verdi-Sekretärin Agnes Westerheide. Der Geburtsfehler der Pflegekammer sei bereits 2019 unterlaufen, als 1500 Pflegekräfte nach ihrer Meinung befragt wurden. „Das war alles andere als repräsentativ“, so Westerheide.

Auf den Intensivstationen (hier im St.-Josef-Hospital) ist die Arbeitsbelastung besonders groß. Aktuell steigt hier wieder die Zahl der Covid-19-Patienten.
Auf den Intensivstationen (hier im St.-Josef-Hospital) ist die Arbeitsbelastung besonders groß. Aktuell steigt hier wieder die Zahl der Covid-19-Patienten. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Gewerkschaft fordert Befragung aller Pflegefachkräfte

Den Kolleginnen und Kollegen, 2020 noch als „Corona-Helden“ gefeiert, fehle vielfach der Glaube, dass eine Pflegekammer eine angemessene Berufsvertretung darstellen kann. Personalnotstand, mangelhafte Entlohnung, Stress auf den Stationen, zunehmende Flucht aus dem Job: Die Pandemie habe die Missstände in Krankenhäusern und Altenheimen wie durch ein Brennglas deutlich gemacht. „Eine Pflegekammer wird sie kaum beheben können. Sie darf zum Beispiel keine Lohnerhöhungen, Arbeitszeiten oder Urlaubstage verhandeln. Das dürfen nur wir!“, so Verdi. Dass allein Fachkräfte in der Kammer vertreten sein sollen, spalte zudem die Belegschaften. „Die vielen Hilfskräfte bleiben außen vor“, bemängelt Agnes Westerheide.

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Während Verdi eine Vollbefragung in NRW fordert, haben die ersten Mitarbeitenden bereits Post von der Pflegekammer erhalten – verbunden mit der verpflichtenden Aufforderung, sich zu registrieren. „Und das, ohne vorher zu wissen, welche Beiträge anfallen. Wo bleibt da die Transparenz?“, kritisiert eine Betroffene.