Bochum. Heinrich Graf Ostermann zählt zu den bedeutendsten Personen der Stadtgeschichte. Er beging einen Mord und stieg zum Minister am Zarenhof auf.

„Bochums Beste von gestern“: In dieser Serie stellt die WAZ Persönlichkeiten vor, die die 700-jährige Stadtgeschichte Bochums geprägt haben. Zum Beispiel: Heinrich Graf Ostermann.

Er zählt zu den bedeutendsten, wenn auch nicht zu den bekanntesten Persönlichkeiten seiner Heimatstadt Bochum: Heinrich Ostermann, der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erst steckbrieflich gesucht wurde und dann am Zarenhof Peters des Großen in Moskau reüssierte. Er diente weiteren russischen Monarchen in führender Stellung, stieg zum Grafen auf, bis er in Ungnade fiel.

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Mit betrunkenem Kopf einen Mann getötet

Der Genannte kam 1687 auf dem Hof Ostermann in Wiemelhausen zur Welt. Die Ostermanns waren eine angesehene Familie, die Bürgermeister, Advokaten, Richter, Pfarrer hervorgebracht hat. Heinrichs Lebensweg begann dramatisch: Nachdem Ostermann als Student der Rechtswissenschaften in Jena wegen eines Duells, in welchem er in stark angetrunkenem Zustand einen adligen Gegner getötet hatte, nach Holland hatte fliehen müssen, trat er 1704 in russischen Seedienst.

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Am Hof Peters des Großen engagiert

Dort gewann er das Vertrauen Peters I. („Peter, der Große“), und spielte bald eine prominente Rolle im russischen Staatsdienst. Nach der Heirat mit Marfa Iwanowna Streschnewa (1698–1781), einer Dame des Hochadels, passte er sich dem Lebensstil des Landes an und adaptierte auch einen russischen Namen – Andrej Iwanowitsch Ostermann.

Dank seiner Sprachkenntnisse wurde er zur rechten Hand des Vizekanzlers Schafirow und leitete 1721 nach dem russisch-schwedischen Krieg die Friedensverhandlungen, worauf er zum Freiherrn und Geheimrat und 1725 zum Reichsvizekanzler ernannt wurde. 1727 wurde er zum Generalpostdirektor bestimmt, 1734 von der russischen Kaiserin Anna I. mit dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten betraut.

In der Verbannung

Nach Ostermanns Verurteilung wurde sein Vermögen eingezogen, er selbst deportiert. Den Frauen von Verbannten war es freigestellt, ihre Männer nach Sibirien zu begleiten. Marfa Streschnewa entschied sich dafür, mit ihrem Gatten das traurige Los zu teilen. Zu ihrem Aufenthalt war Beresow (= Birkenort) bestimmt worden, in kalter Öde am Fluss Soßna, 40 Kilometer vor seiner Mündung in den Ob gelegen.

Graf Ostermann überlebte seinen Sturz noch fünf Jahre. Ein altes Beinleiden fesselte ihn ans Zimmer, das ihm oft wegen der ständigen Soldatenwache schier zu enge wurde. So waren die Jahre in Beresow nur noch ein Warten auf den Tod. Körperlich gebrochen, aber seelisch gefasst und ruhig, starb Heinrich Graf Ostermann am 25. Mai 1747.

Schließlich führte die Thronbesteigung von Kaiserin Elisabeth 1741 des Grafen Sturz herbei. Unter der Anschuldigung, Elisabeths Ausschließung von der Thronfolge bei ihrer Vorgängerin Anna I. bewirkt zu haben, wurde Ostermann zum Tode verurteilt. Am 27. Januar 1742 wurde das Urteil unmittelbar vor der Vollstreckung in lebenslange Verbannung nach Sibirien umgewandelt.

Ostermann war Reformer, Modernisierer und Aufklärer

Ostermann, der 1747 starb, war ein herausragender Politiker und ein Staatsmann von europäischem Rang. Unter seiner Ägide erreichte Russland eine Bedeutung in der Politik, die es bis dahin nicht gehabt hatte. Als Reformer und Modernisierer setzte er neue Zeichen. „Aber er war nicht nur ein politisch handelnder Mensch, sondern auch ein philosophisch reflektierender Kopf, der sich den Ideen der Aufklärung verpflichtet fühlte“, weiß der langjährige Bochumer Stadtarchivar Johannes V. Wagner.

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Große Ausstellung erinnerte in Bochum an Ostermann

Ihm ist es zu verdanken, dass Graf Ostermann nach Jahrzehnten des Vergessens zurück ins kommunale Bewusstsein geholt wurde. Im Frühjahr 2001 realisierten Wagner und sein Team im Stadtarchiv die große Ausstellung „Graf Ostermann. Ein Deutscher am Zarenhof“, die durch ihre Faktenfülle, zahlreiche historische Gegenstände und die populäre Gestaltung überregional für Aufmerksamkeit sorgte. Der stattliche Ausstellungskatalog ist heute ein gesuchtes antiquarisches Sammlerstück.

Zwischen Waldring und Wasserstraße, bei der Schiller-Schule, erinnert die Ostermannstraße an Bochums berühmten, kaum bekannten Sohn.