Bochum. Der Bahnhof Langendreer braucht in der Pandemie Ausdauer, alle Veranstaltungen fallen aus. Auf dem Abstellgleis landen will man trotzdem nicht.
Lockdown und kein Ende: Der dauerhafte Krisenmodus stürzt den Bahnhof Langendreer in die größte Misere seiner 35-jährigen Geschichte. Seit fast einem Jahr steht das pulsierende soziokulturelle Zentrum am Wallbaumweg still. Harte Zeiten für die Verantwortlichen Kristin Schwierz (Politik/Gesellschaft) und Miriam Witteborg (Kultur/Festivals), die gerade alles geben, damit der Bahnhof nicht eines Tages auf dem Abstellgleis landet.
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Wie ist die Stimmung im Haus?
Kristin Schwierz: Gedämpft. Wir versuchen, so pragmatisch wie möglich mit der Situation umzugehen. Dabei haben wir alle Maßnahmen ergriffen, um den Betrieb so gut es geht zu sichern. Aus unserem Hausteam befinden sich nahezu alle in Kurzarbeit, einigen Thekenkräften auf Minijob-Basis mussten wir auch kündigen. Wir versuchen aber alles, um so sozial wie möglich mit den Kolleginnen und Kollegen umzugehen.
Miriam Witteborg: Seit einem Jahr fast ohne Veranstaltungen klarkommen zu müssen, ist frustrierend und eine belastende Situation für alle. Der Kontakt zu unseren Besuchern fehlt uns total. Man plant und plant – und weiß nicht, was man davon überhaupt umsetzen kann.
Haben Sie Sorgen, eines Tages vergessen zu werden?
Witteborg: Eigentlich nicht. Wir bekommen viele Mails, die uns Mut machen, und hatten noch nicht eine schimpfende Person am Telefon. Die Leute haben viel Verständnis. Dabei ist der Bahnhof vor allem aber ein Ort der Begegnung. Wir haben alle wahnsinnige Lust, einfach mal wieder eine Nacht zu tanzen.
Wie steht es denn finanziell?
Schwierz: Durchwachsen. Wir haben den großen Vorteil, dass wir dank der institutionellen Förderung durch die Stadt über einen gewissen Grundsockel verfügen. Daneben haben wir alle Fördermitteln beantragt, die man beantragen kann. Die Mittel aus dem Neustart-Kulturprogramm ermöglichen es uns sogar, etwas Ausfallhonorar für die Künstler zu zahlen, die jetzt hier nicht mehr auftreten können. Richtig eng wird es für uns erst dann, wenn wir wieder öffnen können.
Wieso das?
Schwierz: Momentan planen wir mit einer Auslastung bei künftigen Veranstaltungen von maximal einem Viertel der Plätze. Mehr Zuschauer dürften wir nach dem Öffnungskonzept nicht hinein lassen, was für uns aber auch ein gewaltiges Minus bei den Ticketverkäufen und den Thekeneinnahmen bedeuten würde. Dagegen müssten wir das Personal aber mindestens verdoppeln: am Einlass, an der Theke. Womöglich brauchen wir Platzanweiser und müssen die Zugänge zu den Toiletten überwachen. So rechnen sich solche Veranstaltungen plötzlich gar nicht mehr. Alles steht und fällt mit der Impfsituation. Erst wenn ausreichend geimpft wurde, kann man wieder besser planen.
Welche Veranstaltungen planen Sie momentan denn überhaupt?
Witteborg: Wir sind guter Hoffnung, dass wir das Odyssee-Weltmusik-Festival mit zwölf Open-Air-Konzerten in vier Städten Ende Juli umsetzen können. Dann wäre auch die Freilichtbühne Wattenscheid wieder mit dabei. Daneben gibt es Überlegungen, wie es mit dem Festival „Ruhr International“ an der Jahrhunderthalle weitergeht. Normalerweise kommen da 20.000 Zuschauer hin. Ob wir das umsetzen können, ist noch unklar.
Wie läuft das Online-Angebot?
Schwierz: Sehr gut! Wir bieten einige Lesungen und Workshops online an. Einen Vortrag zu Rassismus haben sich neulich fast 4000 Leute angeguckt. Das ist total cool und natürlich viel mehr, als wir normalerweise in den Bahnhof bekommen würden.
Könnte das eine Lehre aus der Krise sein? Mehr auf online zu setzen?
Schwierz: Durchaus. Einen Experten für einen Workshop extra aus London einfliegen zu lassen, ist allein schon aus Umweltaspekten völliger Quatsch.
Witteborg: Aber gerade die Konzerte und Comedy-Abende leben einfach von der Stimmung im Raum. Das lässt sich durch kein Zoom-Meeting ersetzen.