Bochum. Kritzelei? Kunst? An Graffiti scheiden sich die Geister. Immer mehr Hauseigentümer verzweifeln. Sprayer in Bochum sollen künftig sauber machen.
685 Mal stellten Hauseigentümer im vergangenen Jahr Anzeige gegen fast immer unbekannte Täter, die Immobilien mit Symbolen, Kritzeleien, Figuren oder Schriftzügen mit Botschaften wie ACAB oder anderen dummen Sprüchen besprüht hatten. Ein Jahr zuvor waren es 520 Fälle, in diesem Jahr gibt es bereits 165 Vorgänge bei der Polizei. Tendenz steigend, heißt das.
Kunstvoll gestaltet sind die wenigsten dieser Grafitti, die meisten sind mit dem Begriff Schmiererei noch freundlich bezeichnet. In der Nacht und auf die Schnelle wird die Kreativität der Sprayer ganz offensichtlich aufgefressen von der Angst, erwischt zu werden.
Polizei bestätigt: Immer mehr Strafanzeigen wegen Graffiti in Bochum
Sachbeschädigung nennt die Polizei diese „Straßenkunst“ auf öffentlichen, meist privaten „Leinwänden“. 2019 wurden 40 Fälle aufgeklärt (7,7 Prozent) im vergangenen Jahr 78 (11,4). Das ist wenig. 2021 liegt die Quote bei 38 (31).
Das ist aber eher dem Zufall geschuldet als einer neuen Strategie der Ordnungshüter. Mitunter löst eine erfolgreiche Ermittlung mehrere Fälle auf einen Schlag: Nämlich dann, wenn sich die Täter mit sogenannten Tags auf Hauswänden, Rollläden, Garagentoren, Müllanlagen, U-Bahnen oder Zügen verewigt haben.
Unbekannte beschmieren in einer Nacht zwölf Objekte in Bochum-Mitte
So wie bei der jüngsten Attacke in Bochum-Mitte von Samstag auf Sonntag, 27. und 28. Februar. Unbekannte beschmierten im Bereich Hermann- und Emscherstraße gleich zwölf Objekte. Von „wild wütenden Graffiti-Sprayern“ spricht Cornelia Funkenberg, deren gleichnamige Hausverwaltung 600 Wohneinheiten in 65 Häusern in Bochum verwaltet.
„Ich arbeite jetzt 20 Jahre in dem Metier. So massiv habe ich das noch nicht erlebt“, sagt Funkenberg. Vier bis fünf Mal im Jahr sei eines ihrer Objekte betroffen. Vandalismus durch die Sprayerszene sei in der gesamten Stadt mittlerweile ein Thema.
Polizei bittet mögliche Zeugen um schnelle Hinweise unter der 110
Meist handelt es sich um jugendliche Täter, weiß Polizeisprecher Volker Schütte. „Sie sind häufig nur 15 bis 18 Jahre alt. Selten ist einer dabei, der über 40 ist.“ Seine Bitte: „Wer einen Sprayer beobachtet, sollte sich nicht scheuen, sofort die 110 zu wählen, damit wir Täter auf frischer Tat erwischen und festnehmen können.“ Häufig sei dann auch die Aufklärung weiterer Straftaten möglich. Tags, Farben und Spraytechniken könnten zugeordnet werden.
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„In zunehmendem Maße prägen Farbschmierereien das Bochumer Stadtbild“, kritisiert die Bochumer CDU. Die Fraktion scheiterte Ende Februar im Rat mit einem Antrag zur „StadtRaumPflege“. Darin forderten die Christdemokraten, in der Verwaltung eine „Kompetenzstelle“ einzurichten, die Hauseigentümer „bei der Beseitigung von Schmierereien an privaten Immobilien berät“.
CDU-Antrag zur finanziellen Hilfe für Hauseigentümer scheitert im Rat
Nicht nur das. Die CDU wünschte sich eine finanzielle Beteiligung der Stadt bei der Reinigung privater Immobilien und eine energische Verfolgung der Sprayer. In der Ordnungspartnerschaft mit der Polizei solle das Thema Graffiti „Schwerpunkt der Arbeit“ werden, hieß es in dem Antrag.
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Geldstrafe oder Gefängnis droht
Erwachsenen Tätern, die Hausfassaden oder andere Sachen unerlaubt mit Graffiti versehen, droht wegen Sachbeschädigung eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe von fünf bis 360 Tagessätzen.
Für Jugendliche bis 17 Jahren kann das Gericht Sozialstunden anordnen, aber auch Jugendarrest.
Auch bei Heranwachsenden (18-20 Jahre) kann das Jugendstrafrecht Anwendung finden. Zu den Erziehungsmaßnahmen, die angeordnet werden können, gehören laut Staatsanwaltschaft Bochum aber auch eine Schadenswiedergutmachung und eine Arbeitsleistung für den Geschädigten.
Mit Steuergeldern private Häuser zu reinigen und einen Beamten für die Beratung von Eigentümern abzustellen – das sei eine falsche Schwerpunktsetzung kritisierte indes der Grüne Sebastian Pewny den Vorstoß der CDU. „Nicht Einbrüche, nicht rassistische Gewalttaten, nicht Autofahrten mit 100 Stundenkilometern durch unsere Stadt, nicht Schulwegsicherung, nicht die Einhaltung der Coronaschutzverordnung sollen Schwerpunkt sein, sondern der Kampf gegen Schmierereien.“
Grüne: Bochum mit Graffiti zum nächsten New York machen
So ärgerlich und problematisch Graffiti an Privateigentum auch seien, es handele sich letztlich um einen Rechtsverstoß und eine juristische Angelegenheit zwischen Eigentümer und Täter, so Pewny. Bochum habe andere Herausforderungen zu meistern. „Konzentrieren wir uns darauf, diese Stadt nach vorn zu bringen, gerne mit attraktiven Graffiti, die unsere Region zum nächsten New York City machen.“
Ein Wortbeitrag der Grünen Celia Ungar sorgte bei der CDU für Empörung. Weil die 23-Jährige im Zusammenhang mit vernachlässigten Immobilien auch darauf hinwies, dass „Eigentum verpflichtet“ und ansehnliche Graffiti eine Stadt sogar aufwerten könnten, attackierten Fraktionschef Christian Haardt und sein Vize Roland Mitschke die Grüne.
CDU wirft Grünen gestörtes Verhältnis zum Eigentum vor
„Die Grünen scheinen ein gestörtes Verhältnis zum Eigentum zu haben und befürworten offensichtlich die Anarchie“, sagte Mitschke der WAZ. Wer eine graue Hauswand besitze, sei demnach selbst Schuld, wenn diese beschmiert werde. Die Schmierereien beeinträchtigten nicht nur das Stadtbild, sondern führten auch zum Wertverlust der Häuser. „Die Grünen allerdings scheinen sich in schmuddeligen, ungepflegten Städten wohl zu fühlen.“
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„Natürlich habe ich Verständnis, dass Eigentümer sauer sind, wenn ihre Fassaden beschmiert werden“, sagt Ungar. Die CDU habe wegen „kollektiver Schnappatmung“ aber gar nicht mehr mitbekommen, was sie gesagt und gemeint habe: „Es ist nicht Aufgabe der öffentlichen Hand, private Fassaden zu reinigen. Graffiti gab es bereits in der Antike und sie gehören zum urbanen Raum.“
Ersttäter sollen künftig beschmierte Fassaden sauber machen
Auf Antrag der Fraktion Stadtgestalter/ Die Partei wird die Verwaltung prüfen, ob ein Sozialprojekt Fortschritte im Kampf gegen Schmierereien bringen kann. „Wer wegen illegaler Graffiti erwischt wird, soll nicht ohne Sanktionen davon kommen. Bei Ersttätern ist aber die dicke Keule des Gesetzes nicht nötig“, sagt Volker Steude. „Vorstrafen und hohe Geldschulden fördern eher den Weg in die Kriminalität.“
Zum Vorbild dienen soll das Projekt „EinWandfrei“ aus Düsseldorf. Zehn Jahre lang kooperierten dort Jugendhilfe, Verwaltung, Polizei und Staatsanwaltschaft. Kein jugendlicher Sprayer im Alter von 14 bis 21 Jahren, der erwischt wurde und seine Schmierereien unter fachkundiger Begleitung entfernen musste, rund 20 pro Jahr, sei rückfällig geworden, sagt Achim Radau-Krüger.
Sprayer von Nazi-Parolen soll die volle Härte des Gesetzes treffen
Der Leiter des Düsseldorfer Jugendrings spricht von einem erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich. „Wir haben viele Jugendliche davor gerettet, mit einem Berg voller Schulden ins Erwerbsleben zu starten.“ 65.000 Euro pro Jahr habe die Stadt für eine Vollzeitstelle und Projektkosten investiert.
Kein Pardon geben soll es laut den Bochumer Stadtgestaltern bei Graffiti mit politisch extremen Hintergrund. „Schluss mit lustig ist aber bei Hass und Hetze, insbesondere bei Hakenkreuz-Schmierereien. Da gibt es nur die volle Härte des Gesetzes. Ein Platz in dem Programm für solche Täter muss ausgeschlossen werden“, fordert Steude.