Bochum. Drogenabhängige zählen wegen ihrer Vorerkrankungen zur Corona-Risikogruppe. Eine Studie mit Bochumer Beteiligung bringt überraschende Ergebnisse.

Die Corona-Krise hat die Bochumer Drogenszene massiv durcheinander gewirbelt. Vor allem zu Beginn der Pandemie schwankte die Stimmungslage unter den rund 1000 Abhängigen zwischen Panik und großer Aggressivität. Silvia Wilske ist Leiterin der Beratungsstelle Krisenhilfe: „In diesen Wochen haben wir aber erkannt: Wir dürfen gerade in dieser Zeit niemanden alleine lassen.“

Jetzt liefert zudem eine aktuelle Studie der Frankfurter Goethe-Universität mit Daten aus 21 deutschen Städten, darunter auch Bochum, überraschende Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Corona für die zur Risikogruppe gehörenden schwerst Abhängigen. Das wohl bemerkenswerteste vorläufige Ergebnis: Bis Ende April, dem bisherigen Höhepunkt der Pandemie in Deutschland, wurde aus den teilnehmenden Städten nicht ein einziger bestätigter Covid-19-Fall gemeldet.“

Auch interessant

„Wir rätseln noch darüber, was dafür die Ursache sein könnte“, sagt Silvia Wilske. Die Frankfurter Studie werde aktuell fortgeführt und weiter entwickelt. Obwohl es natürlich Maßnahmen zur Verbesserung der Hygiene und Reduzierung des Ansteckungsrisikos bei der Krisenhilfe gegeben habe, sei die Tatsache, dass es in Bochum bis heute keinen bekannten Corona-Fall unter den Abhängigen gebe, sicher nicht allein mit diesen Maßnahmen zu erklären.

Offenes Café musste zeitweise schließen

Die Beratungsstelle an der Viktoriastraße hatte gleich zu Beginn der Pandemie das offene Café geschlossen und dorthin die Methadonambulanz verlegt. Es sei einfach zu eng und voll am normalen Ausgabeort geworden. Täglich holen sich rund 200 Männer und Frauen den Ersatzstoff Methadon. Mittlerweile sei das Café aber wieder offen, da Maskenpflicht und Abstandsregeln auch in der Szene eingehalten würden.

Studie wertet Erfahrung der Drogenhilfe in Coronazeiten aus

Die Frankfurter Goethe-Universität hat eine Studie gestartet, die die Erfahrungen der Drogenberatungsstellen mit der Corona-Pandemie erfasst. Beteiligt haben sich 21 Städte, darunter auch Bochum.

Neben dem vielleicht überraschendsten Resultat, dass bis zu einem bestimmten Datum kein Covid-19-Fall unter den Abhängigen nachgewiesen wurde, gibt es weitere spannende Erkenntnisse.

+++ Hier finden Sie einen Zwischenbericht des Frankfurter Centres for Drug Research +++

Die Stimmung in der Szene, die Entwicklung der Beratungssituation aber auch die Entwicklungen am Schwarzmarkt spielten dabei etwa eine Rolle. In manchen Städten sorgen Aktivitäten von Ordnungsbehörden für Unruhe. Weibliche Drogenkonsumenten, so ein anderes Ergebnis, seien in besonderem Maße betroffen.

Weitaus gravierender seien die Konsequenzen für den Drogenkonsumraum. Die Plätze dort mussten coronabedingt von neun auf vier reduziert werden. Unter anderem dadurch ist die Szene wieder in der Stadt unterwegs und sichtbar, so Sozialarbeiter Torsten Polesch (49): „Jetzt halten sich sämtliche Klientinnen und Klienten, die sonst bei uns sind, am Hauptbahnhof und in den U-Bahn-Haltestellen auf. Es wird wieder ohne Sicherheit und Hygiene konsumiert und das draußen auf der Straße. Hoffentlich sterben uns nicht so viele weg.“ Die Situation in den U-Bahn-Haltestellen sei mittlerweile unerträglich. Die Menschen verwahrlosen nach Beobachtung der Streetworker zum Teil komplett. „Es gibt erhebliche Gewalt untereinander“, so Polesch.

Auf der Straße spitzt sich die Situation zu

„Was soll ich nun machen, wenn ich Probleme habe und nix hat mehr auf? Jetzt haben die Leute noch mehr Angst mit mir zu reden, weil alle denken, der Junkie ist eh bestimmt verseucht“, sagt der 37-jährige Armin. Er sei zuerst beinahe komplett zu Hause geblieben und habe nicht eingekauft. „Ich hatte echt eine Zeit lang ganz wenig zu essen“, berichtet er.

Mittlerweile habe sich die Situation ein wenig normalisiert, denn es gebe immer noch immense Wartezeiten bei der Drogenberatung. Dabei ist die Krisenhilfe froh darüber, dass die in Bochum bereits seit Jahren bestehende Sicherheitspartnerschaft mit Bogestra, Ordnungsamt und Polizei auch in diesen schwierigen Zeiten gut funktioniere. „Da gibt es viel Verständnis für die Situation der Abhängigen“, sagt Silvia Wilske.

Weitere Berichte aus Bochum lesen Sie hier.