Bochum. Das Schauspielhaus eröffnet mit „King Lear“. Das berühmte Stück war schon öfter in Bochum zu sehen. Eine Aufführung schrieb Theatergeschichte.
Mit William Shakespeares „König Lear“ startet das Schauspielhaus Bochum in der nächsten Woche in die neue Saison. Mit seiner Inszenierung reiht sich Intendant und Regisseur Johan Simons ein in die Reihe jener, die mit immer neuen Deutungen des Klassikers Bochums Ruf als „Shakespeare-Bühne“ geprägt haben.
Maßgebliche Inszenierungen in Bochum
Die WAZ blickt zurück auf drei maßgebliche „Lear“-Abende der letzten 60 Jahre. Es ist gleichzeitig ein Blick auf die Veränderungen, die das Theaterspiel als solches in dieser langen Zeit erfahren hat.
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1964 jährte sich die Wiederkehr von Shakespeares Geburtstag zum 400. Mal, weshalb das Schauspielhaus und die Deutsche Shakespeare-Gesellschaft einen Schwerpunkt vorbereitet hatten. Eine der Inszenierungen war „König Lear“, eingerichtet von Max Fritzsche, damals stellvertretender Theaterleiter und Chefbühnenbildner. So waren die Inszenierung und die Bühnengestaltung aus einem Guss; das Drama um den von seinen Kindern und der Welt verlassenen König sah Claus Clausen in der Titelrolle.
„Jeder Zoll ein König!“
Kennzeichnend für die Aufführung war eine klare Farbendramaturgie, Bühne und Kostüme riefen, je nach Gefühls- und Handlungsstimmung, mal eine ziegelrote, mal eine giftig-grüne Palette auf. „Wie Clausen in der Titelrolle Würde im Nebel des Vergehens behauptet, noch mit der Strohkrone ,jeder Zoll ein König’ - das zeigt diesen Darsteller auf der Höhe einer aus Intelligenz und Impuls gemischten Faszination“, schrieb WAZ-Kritiker Werner Tamms in seiner Rezension.
Fritzsches Einrichtung war seinerzeit modern in dem Sinne, als dass er alle historisierenden Bezüge zu früheren Shakespeare-Rezeptionen gelöscht hatte. Seine geometrischen Räume waren immer auch geistige Räume, in denen sich Menschenschicksale fügten, wobei die Darsteller - auch das im Stil der Zeit - sich ihre Rolle noch wirklich aneigneten, und nicht aus ihr heraustraten.
Theaterverständnis veränderte sich
Was das betraf, war der nächste, zehn Jahre später in Bochum realisierte „Lear“ prototypisch für das veränderte Theaterverständnis, das inzwischen um sich gegriffen hatte. Die Rede ist von Peter Zadeks Aufführung der Spielzeit 1973/74, an die sich manche Bochumer Theatergänger gut erinnern. Nicht nur, weil das Stück nicht im Schauspielhaus, sondern im Union-Kino (!) herauskam, vielmehr, weil die Herangehensweise revolutionär war.
„Volkstheater“ auch außerhalb des Schauspielhauses
Nach 23 Jahren Intendanz war Hans Schalla 1972 in Rente gegangen. Als neuer Impresario rückte der vielbeachtete, aber auch umstrittene Theatermacher Peter Zadek ein. Damit wurde in Bochum alles anders. Der Meister versammelte ein Team von Theaterleuten, mit denen er einen Gegenentwurf zum bourgeoisen Theaterbetrieb anstrebte; Stichwort: „Volkstheater“. Zadeks Theater war durchgeknallt, unterhaltsam und musikalisch, und doch waren seine Inszenierungen immer auch melancholisch unterfüttert.
Dabei konnte sich des Theatermachers Sinn für Provokation auf ein Ensemble verlassen, das am Schauspielhaus bis heute unerreicht sein dürfte: Eva Mattes, Ulrich Wildgruber, Magdalena Montezuma, Wolfgang Feige, Hermann Lause, Rosel Zech, Hannelore Hoger sind Namen, die das Herz höher schlagen lassen!
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Die „Lear“-Tragödie sah man als Moritat, ausgespielt von einer wild maskierten Wandertruppe, deren Mitglieder mit strubbeligen Hosen, Jacken, Hüten ausstaffiert waren. Das Geschehen spulte sich im „Union“ - bei häufig komplett erhelltem Kinosaal - auf einer mit ein paar abgewetzten Stellwänden ausgestatteten Bühne ab. „Zahlreiche in ihrer Fantastik verwirrende Regiezüge brachten es mit sich, dass der Abend zwar erregende neue Einrichten in das Stück bescherte. Aber es konnte nur ein Publikum ganz in seinen Bann ziehen, das genaue Kenntnisse des Werkes besaß“, notierte der Bochumer Theaterkritiker Kurt Dörnemann über eine Aufführung, die Theatergeschichte geschrieben hat.
Überragende Schauspieler prägten die Zadek-Jahre
Daran hatten die Schauspieler maßgeblichen Anteil. Die Figur des greisen Lear, vom 40-jährigen Ulrich Wildgruber gespielt, wurde in der Eröffnungsszene in der Tragödenmaske vorgezeigt. Mit Wildgruber sowie Hannelore Hoger, „die mit Geist und Kraft eines Zirkusakrobaten den Narren figurierte“ (Dörnemann), Hans Mahnke in der Rolle des geblendeten Gloster sowie Rosel Zech als Cordelia erspielte sich das Schauspielhaus einen Sensationserfolg - wenn auch zuvörderst bei Experten und abseits aller bis dato üblichen Formen der Stoff- und Rollenaneignung.
„Erregende neue Einsichten in das Stück“ brachte die dritte „Lear“-Inszenierung, an die hier erinnert werden soll, eher nicht.
Elmar Goerden inszenierte letztmals „Lear“
Elmar Goerden unternahm in seiner finalen Spielzeit 2009/10 den Versuch, dem alten Stück einen Spin in die Jetztzeit zu verpassen - vor zehn Jahren war nicht Corona, aber die globale Finanzkrise in aller Munde. Man erinnert sich an die Schauspieler/innen in Business-Kleidung, wobei Klaus Weiss als alter König mit einer Kälte und Schärfe agierte, die gut ausgestellt, aber als Figur vom Regisseur nur wenig entwickelt worden war.
Theaterabend mit gebremstem Schaum
So recht verstand man nicht, was diesen Lear eigentlich so anziehend bzw. verachtenswert machte. Es war ein Theaterabend mit gebremstem Schaum, allein Veronika Nickl als Goneril und Evamaria Salcher als Regan drehten auf und lagen sich buchstäblich in den Haaren. „Insgesamt fehlen dem Abend Mehrdimensionalität und Tiefe“, schrieb das Theaterportal nachtkritik.de.
>>> Info zum Stück
„König Lear“, entstanden um 1605, gilt als William Shakespeares bitterstes Weltuntergangsstück. Es endet erst, wenn alle vernichtet sind, die sich und ihr Schicksal vorsätzlich oder unfreiwillig an die Mächtigen dieser Welt hängen.
„Es ist der Fluch der Zeit, dass Tolle Blinde führen“, so das pessimistische Motto der Tragödie, die über Jahrzehnte als schicksalsschwangeres Historien-Epos gezeigt wurde.
Seit den Nachkriegsjahren verlagerte sich die Interpretation; nun deuteten Theatermacher „Lear“ mehr als ein existenzialistisches „Endspiel“ mit absurden, bei Peter Zadek sogar mit grotesken Zügen.