Bochum. Nazi-Kunst made in Bochum - es gibt sie doch! Sogar im Museum, das ein Werk von 1937 in seiner neuen Sammlung präsentiert.
NS-Kunst: Bei dem Begriff denkt man an martialische Bilder von „Helden“ der Wehrmacht oder der SS, mit denen die Künstler der 1930er und 40er Jahre die nationalsozialistische Herrenmenschen-Ideologie befördern wollten. Aber das ist nur die eine Seite jenes gestalterischen Schaffens, das während der Diktatur in Deutschland reüssierte.
Die andere repräsentieren vorgeblich politisch neutrale Werke, Landschaftsbilder, Familienszenen, Stillleben. Solche so genannte „artige Kunst“ wurde auch in Bochum produziert. Ein Beitrag in der neuen Ausgabe der Zeitschrift „Bochumer Zeitpunkte“ weist darauf hin.
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Der Begriff „Artige Kunst“ wird dabei analog zum Terminus „Entarte Kunst“ gebraucht, mit dem die Nazis avantgardistische Künstler der Moderne belegten und verbannten. „Artige Kunst“, die sich also dem Hitler-Regime unterwirft, ohne es zu hinterfragen, wird heute so gut wie gar nicht mehr ausgestellt. Zum einen genügt die künstlerische Qualität häufig nicht den üblichen Maßstäben, zum anderen ist natürlich die politische Grundierung nicht totzuschweigen.
Kunst aus dem Giftschrank der Geschichte
Das Bochumer Museum unter Tage im Schlosspark Weitmar punktete vor vier Jahren mit einer umfassenden Schau solcher „Kunst aus dem Giftschrank der Geschichte“; die Ausstellung fand bundesweit Beachtung. Dabei wurde die „Artige Kunst“ den Bildern und Skulpturen der von den Nazis verfemten Künstler entgegengestellt. Dass auch Bochumer Künstler der Diktatur zuarbeiteten, das arbeitet der Beitrag von Clemens Kreuzer in den neuen „Bochumer Zeitpunkten“ heraus. Der ausgewiesene Kenner zumal der hiesigen Kunstgeschichte geht dabei unter anderem auf einen Mann ein, der mit einem Werk auch in der neu konzipierten Eigenen Sammlung des Kunstmuseums zu finden ist: der Bochumer Maler Josef Pieper (1907-1977), dessen Bild „Familie“ sich im Besitz der Stadt befindet.
In der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ vertreten
Kreuzer fördert kaum bekannte Fakten zu Tage. Etwa, dass besagter Pieper nicht nur in Bochum bekannt war, sondern es „zum Star der bildenden Kunst über die Stadtgrenzen hinaus“ geschafft hatte. So war ihm Anfang 1937 von der Preußischen Akademie der Künste in Berlin für sein Bild „Familie“ der Große Staatspreis für Malerei verliehen worden. Von 1939 bis 1944 war er jeweils mit Arbeiten in der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ im Haus der Kunst in München vertreten. Pieper-Bilder wurden von Top-Nazis wie Joseph Goebbels, Robert Ley und Joachim von Ribbentrop erworben, hat Clemens Kreuzer herausgefunden. Seine Regime-konforme Kunst habe der Maler später bagatellisiert: „Nach dem Dritten Reich ist Pieper dem Vorwurf seiner Nähe zum NS-Staat gern mit dem Hinweis auf die Beschlagnahme verschiedener seiner Kunstwerke entgegengetreten“, heißt es in Kreuzers Aufsatz.
Eine traute Familienszene – aber „harmlos“?
Wenn der Bezug zum NS-Regime, wenn auch vielleicht nur verhalten, im Falle Josef Piepers da ist – wie kommt dann eines seiner Bilder in die öffentliche Ausstellung des Museums? Direktor Hans Günter Golinski sagt: „Das Bild wurde rein aus dokumentarischen Zwecken ausgewählt. Und es wurde eingeordnet.“
Tatsächlich ist die Zimmerszene am Tisch ein „harmloses“ Motiv, das allerdings die in den 30er Jahren favorisierte „deutsche Familie“ ins rechte (sic!) Licht rückt. Das Gemälde war schon 1937 von der Stadt Bochum erworben worden, bis in die jüngste Zeit hing es im Trauzimmer des Bochumer Rathauses. Wie das? „Die Herkunft und die Entstehungszeit waren in Vergessenheit geraten“, so Golinski.
Erst eine genaue Musterung der Familienszene bei der Bestandsaufnahme des Museumsbestands im Vorfeld der Planung der neu eingerichteten eigenen Sammlung, brachte das Vergessene ans Licht: Dass die „Familie“ eben nicht, wie allgemein angenommen, aus den 50er Jahren stammte, sondern bereits Mitte der 1930er Jahre entstanden war.
Schrecken des Spanischen Bürgerkriegs
„Wir haben es in die Sammlung aufgenommen, um zu dokumentieren, dass es auch in Bochum wie in allen Städten örtliche Künstler gab, die sich mal mehr, mal weniger den politischen Zeitläuften der Diktatur gebeugt haben“, so Golinski. Allerdings hängt Piepers Gemälde nicht „einfach so“ im Museum, vielmehr wurde neben dem Bild die Skulptur „Mutter, die ihr Kind beschützt“ von László Péri gestellt, die zur selben Zeit wie die „Familie“ entstanden war.
Mit ihr gab der ungarische Künstler Péri dem Schrecken Ausdruck, den NS-Deutschland mit der „Legion Condor“ während des Spanischen Bürgerkrieges verbreitete. „So wird eine Konfrontation zwischen engagierter und artiger Kunst möglich“, so Golinski. Die Besucher des Museums sollen über diese Zusammenhänge nachdenken und ins Gespräch kommen.
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Weitere Bilder aus der Zeit des Dritten Reichs sind weder im größeren Maßstab vorhanden, noch werden sie ausgestellt. „Dafür ist die künstlerische Qualität zu gering“, so Hans Günter Golinski. Eine Tatsache, die auch Clemens Kreuzer in seinem Aufsatz zur Sprache bringt. Künstler wie Pieper kamen überhaupt nur zum Zug, weil die wirklich guten Maler wie Klee, Kandinsky oder Beckmann sämtlich unerwünscht waren, und die Museen und Sammler im Deutschen Reich auf heimische Kräfte zurückgreifen mussten. Doch die agierten international oft nur in der zweiten oder dritten Reihe.
>> Info: Bochumer Zeitpunkte
Die „Bochumer Zeitpunkte“ werden von der Kortum-Gesellschaft – Verein für Stadtgeschichte, Heimatkunde und Denkmalpflege - herausgegeben. Die aktuelle Ausgabe ist das bereits 41. Heft der Reihe. Es ist u.a. im Besucherzentrum des Rathauses erhältlich.
Auch die neuen „Zeitpunkte“ bieten eine Fülle von gut recherchierten stadtgeschichtlichen Bochumer Themen. Neben dem Aufsatz von Clemens Kreuzer über die NS-Kunst finden sich u.a. Beiträge zur Geschichte des Ruhrstadions, über die Denkmäler für den Generaldirektor des Bochumer Vereins, Louis Baare, und zur Deportation jüdischer Mitbürger in die NS-Konzentrationslager.