Bochum-Grumme. Der Homosexuelle Hermann Hußmann wurde von den Nazis in Bochum verfolgt und in den Selbstmord getrieben. Nun erinnert ein Stolperstein an ihn.

Als sie die Nachricht bekam, traf es sie wie einen Schlag: Einen Familienangehörigen sollte es geben, der im Februar 1943 verhaftet wurde und sich im Mai desselben Jahres in der Untersuchungshaftanstalt erhängt hatte? So ganz konnte Monika Hußmann das zunächst nicht glauben. Doch als Jürgen Wenke, der seit Jahren über von Nazis verfolgte Homosexuelle in Bochum forscht, der verbliebenen Nichte seine Rechercheergebnisse zeigte, da wurde das Bild immer klarer.

„In der Familie wurde alles totgeschwiegen, Hermann muss im ersten Obergeschoss gewohnt haben“, sagt die 74-jährige Familienangehörige heute und erinnert sich an das Wohnhaus des Verstorbenen am Mühlental, in dem auch sie mit ihrem Mann regelmäßig verkehrte. Sie selbst lernte den Onkel ihres Mannes nicht mehr kennen, auch Bilder gibt es heute keine mehr. „Das ist schon ein ziemlich komisches Gefühl“, sagt Hußmann.

Jürgen Wenke (rechts) hat die Geschichte von Herrmann Hußmann akribisch recherchiert.
Jürgen Wenke (rechts) hat die Geschichte von Herrmann Hußmann akribisch recherchiert. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Umso mehr freut es die Angehörige, dass an die Geschichte ihres Familienmitgliedes nun durch einen Stolperstein erinnert wird: Es ist die Biographie eines 1908 geborenen katholischen Bergmanns, der während der Weimarer Republik mit 16 Jahren seine ersten homosexuellen Kontakte macht. Als im Rahmen einer anderen Verhaftung in der Vernehmung sein Name fällt, wird auch Hußmann festgenommen – in den nächsten Tagen mehrfach verhört.

Auszüge aus der Vernehmung

Es folgen Vernehmungen von Angehörigen, eine Hausdurchsuchung und die Beschlagnahme von persönlichen Dokumenten. Im April wird Hußmann schließlich sogenannter Sittlichkeitsverbrechen beschuldigt, die Gerichtsverhandlung zur Feststellung als „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ jedoch findet nicht mehr statt, Hußmann erhängt sich am 11. Mai 1943 mithilfe eines Hosenträgers.

„Er ahnte wohl, dass eine Rückkehr wegen der sozialen Ächtung in seine Wohnsiedlung ausgeschlossen war, auch seinen Job hatte Hußmann verloren und er musste mit dem Konzentrationslager rechnen“, sagt Wenke. Als er bei der Verlegung des Steins aus dem historischen Vernehmungsprotokoll vorliest, wird die Geschichte von Hußmann noch einmal ganz lebendig: „Ich bin das zweitälteste Kind von sieben Geschwistern. Ich lebe mit meinem Bruder Heinrich im elterlichen Hause. In Bochum bin ich zur Schule gegangen, und zwar habe ich die Volksschule in Hofstede bis zur 8. Klasse besucht. Nach der Schulentlassung kam ich auf die Zeche Constantin der Große, Schachtanlage II, in Bochum, wo ich noch heute beschäftigt bin“, heißt es darin. In der Vernehmung gab Hußmann auch die 10-jährige Freundschaft mit einem in Düsseldorf lebenden Ingenieur zu.

Die nächsten Stolpersteine im Oktober

Europaweit gibt es mittlerweile über 80.000 Stolpersteine, die an Ermordete während der NS-Zeit erinnern. Auch in Bochum gibt es bereits über 200 Stolpersteine.

In Bochum werden etwa ein bis zwei Mal jährlich Stolpersteine verlegt. Die nächste Verlegung findet am 8. Oktober 2020 in Gedenken an 15 Personen statt.

Weitere Infos über die Biographie von Hermann Hußmann unter: stolpersteine-homosexuelle.de

Vom Stolperstein, verlegt am Montag an der Grummer Straße / Ecke Mühlental, sind die genannten Orte nur wenige hundert Meter entfernt. Der Arbeitsplatz von Hußmann lag in etwa dort, wo sich heute westlich der Herner Straße die Betriebswerkstatt der städtischen Verkehrsbetriebe Bogestra befindet, die ehemalige Bergmannssiedlung ist als solche noch erkennbar.

Letzter freiwilliger Wohnort

Eigentlich sollte der Stein für Hußmann, nach dem seit Ende letzten Jahres auch eine Straße nahe des Bochumer Justizzentrums benannt wurde, bereits letztes Jahr verlegt werden. Doch es gab Probleme: „Als Ort wird immer der letzte freiwillige Wohnort gewählt“, erklärt Wenke. Da es sich bei der Straße „Mühlental“ jedoch um eine Privatstraße handele und die Besitzer die Verlegung nicht wünschten, musste ein Kompromiss gefunden werden.

„Hier an der Grummer Straße ist auch deutlich mehr Fußverkehr“, sieht Andreas Froning vom Stadtarchiv den Vorteil. Dem zweiten geplanten Termin, dem „internationalen Tag gegen Homophobie“ im Mai machte die Corona-Krise einen Strich durch die Rechnung, nun fällt der Tag der Stolpersteinlegung auf den 29. Juni. „Das ist der Folgetag des ersten bekanntgewordenen Aufstandes von Homosexuellen gegen die Polizeiwillkür in den USA in der New Yorker Christopher Street und somit Ursprung des Christopher Street Days“, erklärt Wenke. Hußmann hätte der geschichtsträchtige Bezug sicherlich gefallen.