Bochum. In Altenheimen herrscht wegen Corona Besuchsverbot. Ein Video zeigt: In Bochum geht's auch fröhlich zu. Dafür sorgt eine Musikanten-Tradition.
"Kennst du die Perle, die Perle Tirols..." Auf den Balkonen am Glockengarten wird gesungen, geschunkelt, gelacht. Das Kufsteinlied kennen die meisten Senioren allzu gut. Wenn wegen Corona schon die Grenzen dicht sind, ist im SBO-Seniorenzentrum zumindest eine musikalische Reise ins schöne Österreich erlaubt. Erst recht, wenn sich ein fescher Drehorgelmann als Reiseleiter betätigt.
Altenheime gleichen in diesen Tagen geschlossenen Anstalten. Aus Sorge um eine Ansteckung der Bewohner und Mitarbeiter mit dem Coronavirus bleiben die Türen für Besucher zu. Die Furcht ist erschreckend real: Allein im Heinrich-König-Seniorenzentrum der Arbeiterwohlfahrt in Weitmar waren zuletzt sieben Tote zu beklagen.
Coronavirus in Bochum: "Curtinius" bereitet Freude
Die Senioreneinrichtungen Bochum (SBO) blieben bislang verschont. In keinem der vier Heime mit ihren 588 Plätzen gebe es einen bestätigten Corona-Fall, sagt Geschäftsführer Frank Drolshagen. "Schon seit dem 13. März sind alle Häuser für Besucher geschlossen. Angehörige dürfen unter besonderen Schutzvorkehrungen nur herein, wenn Bewohner in der letzten Lebensphase sind." Die Regelungen seien für die Senioren und ihre Familien gleichermaßen bitter, gerade jetzt zu Ostern. "Es war und ist aber die einzig richtige Entscheidung." Bochum: Drehorgelspieler Mischak spielt vor dem Seniorenheim Die Regelungen seien für die Senioren und ihre Familien gleichermaßen bitter, gerade jetzt zu Ostern. "Es war und ist aber die einzig richtige Entscheidung." Bochum: Drehorgelspieler Mischak spielt vor dem Seniorenheim
Umso größer sind die Freude und Dankbarkeit, als am Donnerstagmorgen Kurt Mischak vor dem SBO-Heim am Glockengarten auftaucht. Der 84-jährige Bochumer hat nach einer Krebserkrankung vor mehr als 30 Jahren die Drehorgel für sich entdeckt. Als "Curtinius, der Drehorgelmann" dreht er seither in Kliniken und Seniorenheimen, bei Straßenfesten, Geburtstagen oder Hochzeiten am Rad. Um sich selbst und lieben Menschen eine Freude zu bereiten. Aber auch, um die Deutsche Krebshilfe zu unterstützen: "Die Hälfte jeder Gage wird gespendet."
Bewohner stehen auf Balkonen
Bürgermeisterin und SBO-Aufsichtsratsmitglied Gaby Schäfer (SPD) kennt "den Kurt" von zahllosen gemeinsamen Terminen. Beim Nachdenken darüber, wie sie Altenheim-Bewohnern in diesen trist-traurigen Wochen eine kleinen Lichtblick verschaffen könnte, fiel ihr "Curtinius" ein. Die Idee: Kurt Mischak schmeißt draußen seine Drehorgel an, während die Senioren drinnen zuhören und Spaß haben.
Klar, dass "Curtinius" sofort zusagte. Mit keckem Stohhut und schmucker Weste bezieht er am Donnerstag um 10 Uhr auf dem Vorplatz am Glockengarten Station - mit gebotenem Abstand, schon seit dem Morgen freudig erwartet von zwei Dutzend Bewohnern und Pflegerinnen, die sich auf den vier Balkonen verteilen. Weitere Senioren schauen an geöffneten Fenstern zu.
Von "Marina" bis zu "La Paloma"
Mehr als 1000 Lieder hat Drehorgelmann Kurt auf Lager. Mit seiner Auswahl trifft er den Geschmack des "hochverehrten Publikums" auf den Punkt. "Marina", "Auf der Reeperbahn", "La Paloma", "Die Rose vom Wörthersee" oder die Kufstein-Hymne: Es ist berührend zu sehen, wie einige der Senioren lautstark einstimmen, mitklatschen, sogar ein kleines Tänzchen wagen.
Andere belassen es bei einem Lächeln, bei einer zarten Berührung mit der Pflegerin. Soll heißen: Schön, dass ihr das möglich gemacht habt. "Ich könnte heulen!", sagt Gaby Schäfer, verdrückt ein Tränchen und schwenkt mit ihrem Mann Axel ein selbst gebasteltes Pappschild. Aufschrift: "Bleibt gesund!"
Zugabe an der Grabelohstraße
Karfreitag gibt's eine Zugabe. Gleichfalls ab 10 Uhr will "Curtinius" am SBO-Haus an der Grabelohstraße für Stimmung sorgen. "Unsere anderen Heime kommen auch noch an die Reihe", verspricht Frank Drolshagen.
Rare Glücksmomente in verstörenden Zeiten.