Bochum. Studierende aus Bochum übersetzten Aussagen eines Überlebenden des Atombombenangriffs auf Nagasaki. Das Ergebnis wird in Hiroshima zu sehen sein.

Im Japanischen gibt es ein Wort, das eine Person bezeichnet, die einen Bombenangriff überlebt hat: Hibakusha. Dieser Ausdruck ist vielleicht einer von vielen, den etwa 15 Studierende der Ruhr-Universität Bochum (RUB) im nun endenden Semester gelernt haben.

Im Rahmen eines Seminars an der Ruhr-Universität haben sie ein japanisches Interview mit einem Überlebenden des Atombombenangriffs auf Nagasaki am 9. August 1945 ins Deutsche übersetzt. Der halbstündige Film wird nun samt neuer Untertitel in die Nationale Friedensgedächtnishalle für die Atombombenopfer von Hiroshima aufgenommen.

Studierende in Bochum übersetzen Erinnerungen an Atombombenabwurf

Zusammen mit Annette Hansen und Prof. Eiichi Kido, die das Seminar geleitet haben, sieht sich der Kurs in der letzten Sitzung das Endprodukt an. „Viel sprachliche Korrektur war nicht nötig“, sagt die Sprachenlehrerin.

Die Aussagen bewegen: Studentin Johanna Bacher gehörte zu den RUB-Studierenden, die das Zeitzeugeninterview zum Atombombenabwurf auf Nagasaki übersetzen.
Die Aussagen bewegen: Studentin Johanna Bacher gehörte zu den RUB-Studierenden, die das Zeitzeugeninterview zum Atombombenabwurf auf Nagasaki übersetzen. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Und dann geht es auch schon los: Auf der Leinwand erscheint Akira Nakamura. Er fängt an, von seinen Erinnerungen an den Atombombenabwurf und dessen Folgen zu erzählen. Ein unvorstellbares Geräusch, eine Druckwelle, die den damals 14-Jährigen in eine Stahlkonstruktion in der Fabrik schleudert – Feuer, Grumman-Flugzeuge und die beinahe Gewissheit, dass sein Leben sofort vorbei ist, durchziehen die Gedanken des Mannes.

Gerettet wurde er schließlich am Folgetag von seinem Chef und seinem Bruder. Der Vater: tot. Die Schwester: nie von der Arbeit zurückgekehrt. Die Mutter: einige Wochen nach der Katastrophe ebenfalls verstorben.

Öffentlicher Nutzen der Übersetzung motiviert Seminarteilnehmer

Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945

Die Namen Hiroshima und Nagasaki rufen schreckliche Erinnerungen wach: Am 6. und 9. August 1945 warfen die USA Atombomben auf die japanischen Städte. Bilder der Katastrophen.
Die Namen Hiroshima und Nagasaki rufen schreckliche Erinnerungen wach: Am 6. und 9. August 1945 warfen die USA Atombomben auf die japanischen Städte. Bilder der Katastrophen. © akg-images GmbH
Um Japan im Zweiten Weltkrieg zur Kapitulation zu zwingen, hatte die US-Luftwaffe am 6. August 1945 über der Hafenstadt Hiroshima auf der Insel Honshu eine Atombombe abgeworfen.
Um Japan im Zweiten Weltkrieg zur Kapitulation zu zwingen, hatte die US-Luftwaffe am 6. August 1945 über der Hafenstadt Hiroshima auf der Insel Honshu eine Atombombe abgeworfen. © imago/United Archives International | imago stock&people
Das nukleare Inferno hat schätzungsweise mehr als 70.000 Menschenleben auf einen Schlag ausgelöscht. Hiroshima wurde vollständig zerstört.
Das nukleare Inferno hat schätzungsweise mehr als 70.000 Menschenleben auf einen Schlag ausgelöscht. Hiroshima wurde vollständig zerstört. © Getty Images | Keystone
Innerhalb weniger Monate erhöhte sich die Zahl der Todesopfer auf rund 150.000.
Innerhalb weniger Monate erhöhte sich die Zahl der Todesopfer auf rund 150.000. © akg-images GmbH
Auch Jahrzehnte nach der Katastrophe leiden und sterben zahlreiche Menschen an den Spätfolgen der atomaren Strahlung.
Auch Jahrzehnte nach der Katastrophe leiden und sterben zahlreiche Menschen an den Spätfolgen der atomaren Strahlung. © Getty Images | Keystone
Opfer des ersten Nuklearangriffs in der Geschichte der Menschheit.
Opfer des ersten Nuklearangriffs in der Geschichte der Menschheit. © Getty Images | Keystone
Paul Tibbetts war der Pilot des Langstreckenbomber „Enola Gay“ – benannt nach seiner Mutter.
Paul Tibbetts war der Pilot des Langstreckenbomber „Enola Gay“ – benannt nach seiner Mutter. © REUTERS | REUTERS / HO
Die Atombombe mit dem harmlos klingenden Namen
Die Atombombe mit dem harmlos klingenden Namen "Little Boy" wurde auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Tinian, Marianen, in den Bomber „Enola Gay" verladen. © akg-images GmbH
Bereit zum Abwurf.
Bereit zum Abwurf. © Getty Images | Keystone
Die Atombombe hatte eine Länge von 3,2 Metern und einen Durchmesser von circa 75 Zentimetern.
Die Atombombe hatte eine Länge von 3,2 Metern und einen Durchmesser von circa 75 Zentimetern. © picture alliance / CPA Media Co. | dpa Picture-Alliance /
Innerhalb von Sekunden verwandelte eine gewaltige Druck- und Hitzewelle von mindestens 6000 Grad Hiroshima zu einer lodernden Hölle.
Innerhalb von Sekunden verwandelte eine gewaltige Druck- und Hitzewelle von mindestens 6000 Grad Hiroshima zu einer lodernden Hölle. © imago/United Archives International | imago stock&people
Einige hundert Meter über dem Shim-Krankenhaus detonierte die Bombe.
Einige hundert Meter über dem Shim-Krankenhaus detonierte die Bombe. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
Nur drei Tage später – am 9. August 1945 um 11.02 Uhr (Ortszeit) – wurde die japanische Hafenstadt Nagasaki von einer noch stärkeren amerikanischen Atombombe zerstört.
Nur drei Tage später – am 9. August 1945 um 11.02 Uhr (Ortszeit) – wurde die japanische Hafenstadt Nagasaki von einer noch stärkeren amerikanischen Atombombe zerstört. © imago/United Archives International | imago stock&people
Die Bombe „Fat Man“ tötete in Nagasaki etwa 70.000 Menschen, an den Folgen der radioaktiven Strahlung starben später 100.000 weitere. Unter den Toten waren auch viele Menschen aus China und Korea, oft Zwangsarbeiter in der japanischen Rüstungsindustrie.
Die Bombe „Fat Man“ tötete in Nagasaki etwa 70.000 Menschen, an den Folgen der radioaktiven Strahlung starben später 100.000 weitere. Unter den Toten waren auch viele Menschen aus China und Korea, oft Zwangsarbeiter in der japanischen Rüstungsindustrie. © picture-alliance/ dpa/dpaweb | dpa Picture-Alliance / epa Nagasaki Atomic Bomb Museum
Der Tod bringende Atompilz in Nagasaki.
Der Tod bringende Atompilz in Nagasaki. © Reuters | REUTERS / HO
Nach dem Angriff war die Stadt vollständig verwüstet. Die genaue Opferzahl wird sich nie ermitteln lassen, weil viele erst an den Spätfolgen der Strahlung starben.
Nach dem Angriff war die Stadt vollständig verwüstet. Die genaue Opferzahl wird sich nie ermitteln lassen, weil viele erst an den Spätfolgen der Strahlung starben. © imago/United Archives International | imago stock&people
Unter dem Eindruck der Zerstörungen kapitulierte das Kaiserreich Japan am 15. August 1945.
Unter dem Eindruck der Zerstörungen kapitulierte das Kaiserreich Japan am 15. August 1945. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
Enrico Fermi, italienischer Kernphysiker, 1939 in seinem Labor. Der Vater der Atombombe war nach den Erfahrungen von Hiroshima gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe. Seine brillante Intuitionsgabe ließ den 1901 in Rom geborenen Wissenschaftler zwar die Herstellung künstlicher Radioaktivität durch Neutronenbeschuss entdecken. Die Weiterentwicklung seiner Erfindung von der Atom- zur wesentlich zerstörerischen Wasserstoffbombe konnte er aber nicht verhindern.
Enrico Fermi, italienischer Kernphysiker, 1939 in seinem Labor. Der Vater der Atombombe war nach den Erfahrungen von Hiroshima gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe. Seine brillante Intuitionsgabe ließ den 1901 in Rom geborenen Wissenschaftler zwar die Herstellung künstlicher Radioaktivität durch Neutronenbeschuss entdecken. Die Weiterentwicklung seiner Erfindung von der Atom- zur wesentlich zerstörerischen Wasserstoffbombe konnte er aber nicht verhindern. © epd-bild / Keystone | Keystone
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„Ich bin ein bisschen stolz auf unsere Arbeit in diesem Seminar“, sagt Student Dennis Rosinski. „Ich stelle mir vor, dass irgendwann ein Deutscher in die Halle in Japan stolpert und durch unsere Untertitel versteht, was Akira Nakamura erzählt.“ Er selber ist bereits sechs Mal in Japan gewesen und hat mehrmals Hiroshima besucht, ab September wird er einige Zeit in Fukushima verbringen. „Wer einmal in Japan war, möchte eigentlich nicht wieder weg“, findet er.

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Das Bewusstsein, dass die Arbeit tatsächlich öffentlich verwendet wird, hat den Umgang mit ihr verändert und intensiviert: „Die Übersetzungsaufgabe hat uns eine Verantwortung gegenüber den Zuschauern übertragen“, sagt Ruben Grest in der Abschlussrunde. „Historische Begriffe mussten wir recherchieren, das hat teilweise mehrere Stunden gedauert. Dadurch kann ich sie jetzt aber auch nachvollziehen.“

Prof. Eiichi Kido beleuchtet historische und politische Aspekte

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Doch eine solche Aufgabe kann schlecht bewältigt werden, wenn nur die nackte Übersetzung beachtet wird. Im zweiten Seminarteil hat Eiichi Kido historische und politische Aspekte mit den Studierenden besprochen, etwa die Fragen, warum ausgerechnet Japan bombardiert wurde oder warum das Land heute einen Atomwaffenverbot nicht unterstützt.

Gastprofessur ermöglicht Seminar

Alle deutschen Studierenden, die am Übersetzungskurs teilgenommen haben, haben mindestens vier Semester Japanisch-Unterricht hinter sich.

Eine große Hilfe waren drei japanische Studentinnen, die zur Zeit ihr Auslandssemester an der RUB verbringen und in Übersetzungsfragen weiterhelfen konnten.

Prof. Eiichi Kido arbeitet normalerweise an der Universität Osaka. Durch seine Gastprofessur in Bochum war es möglich, ein Seminar in diesem Rahmen zu gestalten. Ein Schwerpunkt des Politikwissenschaftlers ist die Friedensforschung.

Die intensive Auseinandersetzung sorgt für konzentriertes, teils betroffenes Schweigen beim Ansehen des Interviews. Akira Nakamura selber trägt ein dauerhaft verletztes Bein davon – und Bilder, die noch mehr als 50 Jahre später Tränen in seine Augen treiben.