Bochum. Ins winterliche Tschechien zog es die Bochumer Autorin Anja Liedtke. Im Literaturhaus Broumov gab es viel zu tun - und ringsum jede Menge Natur.
Schriftsteller sind viel unterwegs, um gerade auch an abseitigen Orten Anregungen und Stoff fürs Schreiben zu finden. Die Autorin Anja Liedtke aus Bochum macht da keine Ausnahme. Sie weilte zuletzt in Broumov/Tschechien. Im WAZ-Gespräch erinnert sich die 53-Jährige an spannende Wochen „Vor der Grenze, hinter der Grenze“. So der Titel ihres Aufenthalts, den das Goethe-Institut in Prag ermöglicht hatte.
Wie kamen Sie ausgerechnet nach Tschechien?
Anja Liedtke: Ich hatte mich um das Stipendium beworben und bin ausgewählt worden. Die vierwöchige „Residenz“ im Literaturhaus Kloster Broumov war als Wohngemeinschaft je einer deutschen und je einer tschechischen Autorin, Übersetzerin oder Illustratorin konzipiert. Residenzthema war „Vor der Grenze, hinter der Grenze“ – eine Anspielung auf die geografische, politische und historische Situation der Stadt.
Zur Person
Dr. Anja Liedtke (*1966 in Bochum) ist Sprachwissenschaftlerin und promovierte mit einer Dissertation „Zur Sprache der Berichterstattung in den Kriegen am Golf und in Jugoslawien“.
1996 wurde ihr der Bettina-von-Arnim-Literaturpreis für die Erzählung „China through my eyes“ verliehen. Es folgten Romane wie „Stern über Europa“ (2012) und „Schwimmen wie ein Delfin oder Bowies Butler“ (2017) sowie die israelischen Reiseerzählungen „Blumenwiesen und Minenfelder“ (2014).
Liedtke war 2018 Stipendiatin im Stuttgarter Schriftstellerhaus und 2019 Stipendiatin des Goethe-Instituts Prag. Sie ist Mitglied u.a. im Verband Deutscher Schriftsteller und bei den Bochumer Literaten.
Wo liegt Broumov überhaupt?
Die nordböhmische Stadt galt seit dem Mittelalter als wichtiges kulturelles und wirtschaftliches Zentrum, zumal während der k.u.k.-Monarchie war es ein Zentrum der Weberei-Industrie. Nach Besetzung und Vertreibung im 20. Jahrhundert wurde diese „Ecke“ im Grenzland zwischen Polen und Tschechien zum vergessenen Niemandsland.
Was haben Sie dort, am „Ende der Welt“, gemacht?
Es ging darum, das Motto des Residenzstipendiums literarisch zu fassen. Inhaltliche oder gestalterische Vorgaben gab es nicht. Deshalb griff ich „Vor der Grenze. Hinter der Grenze“ im doppelten Wortsinn als „Grenzgang“ auf. Ich unternahm Wanderungen in der verschneiten Landschaft zwischen Polen und Tschechien, aber ich merkte auch, dass die Natur dort eine Grenzziehung gar nicht zulässt. Eins fließt in diesem Gelände ins Andere, das hat mich fasziniert. Deshalb entstand keine Geschichte im konventionellen Sinn, sondern eine Art Reisebericht mit intensiven Naturbeschreibungen: der Flug eines Adlers, den ich beobachtete. Das Knirschen und der Geruch des Schnees. Das Schlagen der Fasane irgendwo. Die winterliche Stille.
Was wurde aus ihrem Manuskript?
Es wurde ins Archiv des Literaturhauses aufgenommen, an eine Veröffentlichung war nicht gedacht.
Und doch vermitteln Sie jetzt ihre Erfahrungen...
Meine Stipendiaten-Nachfolgerin, die Kölner Schriftstellerin Ulrike Anna Bleier, und ich stellen unsere in Broumov entstandenen Texte auf Einladung der Literarischen Gesellschaft in Bochum vor. Dabei tauschen wir uns auch über die Erfahrungen aus, die wir während des Aufenthalts in der Kleinstadt mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, der Sprache und der historischen Umgebung gemacht haben. Aber auch profane Fragen des Alltags („Wo hast Du eingekauft?“) sowie kleinere Missverständnisse und größere Katastrophen sollen zur Sprache kommen.
Lesung in der Buchhandlung
Anja Liedtke und Ulrike Anna Bleier lesen am Donnerstag, 9. Januar, um 19.30 Uhr in der Buchhandlung Mirhoff & Fischer, Pieperstraße 12. Eintritt 5/erm. 3 Euro