Bochum. Vor genau 50 Jahren, am 20. Dezember 1969, gab es eine große Anti-Vietnamkriegsdemo in Bochum. Mehr als 2000 Menschen liefen durch die Stadt.

Ein sicher in der Bochumer Stadtgeschichte eher unbekanntes Jubiläum wird am heutigen Freitag, 20. Dezember, begangen. Genau vor 50 Jahren fand die bis dahin im Ruhrgebiet größte Demonstration gegen den Vietnamkriegstatt – in Bochum. Die, die damals dabei waren, erinnern sich. Wie Günter Gleising. Das heutige Ratsmitglied der Sozialen Liste hatte als 19-Jähriger gerade seine Ausbildung zum Elektriker abgeschlossen. „Es war ein bitterkalt Tag. Und die Stimmung war aggressiv. Die Passanten in der Innenstadt haben uns beschimpft“, erinnert er sich.

Sorgfältig aufbewahrt und archiviert: Die Kopie eines Originalflugblatts zur Vietnam-Demo in Bochum.
Sorgfältig aufbewahrt und archiviert: Die Kopie eines Originalflugblatts zur Vietnam-Demo in Bochum. © Günter Gleising

Aufgerufen zu der Demo hatte eine linke Truppe aus über 30 Grüppchen, darunter etwa das „Sozialistische Arbeiter- und Lehrlingskomitee“, die Jusos, diverse K-Gruppen mit maoistischem, leninistischem oder marxistischem Schwerpunkt.

Die WAZ berichtete groß unter der etwas kryptischen Überschrift: „2000 Vietnamgegner durch die City“. Unterzeile: „Polizei setzt mehrere Hundertschaften ein – Technik der Springflut“. Günter Gleising beschreibt diese damals aus Paris oder Berlin übernommene „neue“ Demonstrationstechnik so. „Wir bildeten Reihen, hakten uns unter oder hielten uns an den Stangen für die Protestplakate fest. Dann gingen wir alle gleichzeitig in die Knie und sprangen dann unter lauten ,Ho-Ho-Ho-Chi-Minh!’-Rufen auf und liefen los.“

Passanten schimpften oder waren amüsiert

Die mit solchen Aktionen eher nicht vertrauten Bochumer Bürger, die an jenem Samstag lieber ungestört ihre Weihnachtseinkäufe erledigen wollten, gefiel die Demo aus Studenten, Schülern, Arbeitern und Auszubildenden gar nicht. Die WAZ schrieb: „Die Passanten reagierten auf die wuchtige ,Springflut-Technik’ amüsiert, böse, erschreckt oder einfach fassungslos. Viele schimpften unverblümt.“

In Ketten und im Laufschritt stürmten die Demonstranten über die Huestraße dem Hauptbahnhof zu. Passanten (l.) machten sich so ihre eigenen Gedanken. 
In Ketten und im Laufschritt stürmten die Demonstranten über die Huestraße dem Hauptbahnhof zu. Passanten (l.) machten sich so ihre eigenen Gedanken.  © Stadt Bochum, Presseamt | Hartmut Beifuß

Teilnehmer erinnern sich, dass es jedoch trotzdem recht friedlich zuging. Zwischen 15 und 19.30 Uhr zogen die Demonstranten vom Husemannplatz aus durch die Innenstadt und wieder zurück zum Husemannplatz.

Es waren sehr politische Zeiten. Junge Leute, darunter der junge Günter Gleising, politisierten sich über den Schah-Besuch am 2. Juni 1967, bei dem in Berlin der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen worden war – oder später in Bochum über die „Rote-Punkt-Aktionen“ gegen Preiserhöhungen bei der Bogestra. Oder aus Wut und Verzweiflung angesichts der Gräuel des Vietnamkrieges.

Noch ein Thema spielte eine Rolle

In Bochum spielte zu Beginn des Jahres 1969 noch ein anderes Thema eine große Rolle. Es ging um die NPD, die überall im Land auf dem Vormarsch zu sein schien. Der Einzug in den Landtag sollte gestoppt werden. Es kam zu mehreren Demonstrationen im Februar bei einem NPD-Bezirksparteitag in der Aula der Graf-Engelbert-Schule, dann bei einer Demo gegen die NPD auf dem Buddenbergplatz. Die Polizei brachte sogar einen Wasserwerfer in Stellung.

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Journalisten ganz nah dabei

Für Journalisten waren diese Jahre ebenfalls herausfordernd. Häufig dabei war der langjährige WAZ-Fotograf Hartmut Beifuß, der Ende der 60er Jahre noch für die damals ebenfalls in Bochum erscheinende Westfälische Rundschau (WR) fotografierte.

Der spätere WAZ-Fotograf Hartmut Beifuß in jenen Jahren. Mit der Kamera immer ganz nah dabei. Damals fotografierte er für die Westfälische Rundschau.
Der spätere WAZ-Fotograf Hartmut Beifuß in jenen Jahren. Mit der Kamera immer ganz nah dabei. Damals fotografierte er für die Westfälische Rundschau. © HB

Der verstorbene WAZ-Fotograf W. K. Müller (r.) hatte sich am 20. Dezember 1969 mitten ins Getümmel gestürzt.  
Der verstorbene WAZ-Fotograf W. K. Müller (r.) hatte sich am 20. Dezember 1969 mitten ins Getümmel gestürzt.   © WAZ / Stadt Bochum | Hartmut Beifuß

„Es gab ja einerseits die schrecklichen Nachrichten über die Gräuel des Vietnamkrieges, die vor allem die Zivilbevölkerung trafen. Klar, dass und wo die meisten von uns sich positionierten. Andererseits gab es die Pflicht, sich journalistisch- professionell zu verhalten, um nicht als einseitiger Berichterstatter abgestempelt zu werden“, erinnert sich Beifuß.

Verfassungsschutz

Ärgerliche Begleiterscheinungen mussten, weiß Hartmut Beifuß, immer wieder eingesteckt werden, „wenn angesichts meiner Kamera schon die kleinsten Schüler-Demonstranten ,Verfassungsschutz! Verfassungsschutz!’ schrien. Die hatten nun wirklich keine Ahnung: Die Leute von dieser ,Firma’ waren zuerst an ihren Pepita-Hüten erkennbar, aber so sah ich seinerzeit nicht aus...“

Aufruf zur „Zentralen Demonstration im Ruhrgebiet“

Mit für die Bürger des Wirtschaftswunders sicher erschreckenden Parolen versammelten sich die meist jungen Leute, darunter, wie die WAZ schrieb „etliche Altkommunisten mit zufriedenen Gesichtern“ gegen 15 Uhr auf dem Husemannplatz. Sie skandierten: „USA, SA, SS“ oder „Klassenkampf statt Wahlkampf“, „Nieder mit den westdeutschen Komplizen der US-Imperialisten“ und das unvermeidliche „Ho, Ho, Ho Chi Minh“.

Ausschnitt aus der WAZ-Berichterstattung vom 22, Dezember 1969.
Ausschnitt aus der WAZ-Berichterstattung vom 22, Dezember 1969. © WAZ

Blutsauger der US-Imperialisten

Ein Redner verurteilte die „Blutsauger der US Imperialisten“ und die bürgerliche WAZ versuchte es sogar mit Spaß und veröffentlichte Randnotizen zur Demonstration.

Allerdings waren die nicht alle wirklich lustig. So erlitt ein Polizist Brandverletzungen im Gesicht, weil ein Feuerwerkskörper ihn traf. Ein Demonstrant verletzte sich durch Glassplitter einer Flasche, die ein anderer Demonstrant gegen eine Wand geworfen hatte.

Im wahrsten Sinne mit dem Feuer spielte ein anderer Demonstrant, der sich seinen Humor wohl beim Kommunarden Fritz Teufel in Berlin abgeschaut hatte. Diesem Demonstrationsteilnehmer war es offenkundig doch zu kalt. Er drehte einen Papierkorb aus Drahtgeflecht am Husemannplatz kurzerhand um, zündete den Inhalt an und setzte sich feixend obenauf. Ein Polizist behielt die Nerven und schritt nicht ein. Für die WAZ Anlass zur Überschrift: Demonstrant wird über Papierkorb „gebraten“.

Am Ende des Demonstrationstages gab es wohl noch ein Scharmützel zwischen Anhängern der DKP und anderen Demonstrationsteilnehmern. Die Rede ist von „heftigen Debatten und leichten Schlägereien“.

Erkannten übrigens die Demonstranten einen „Zivilbeamten vom 14. Kommissariat“, dem heutigen Staatsschutz, umringten sie ihn und sangen spöttisch „Das 14. K., ha, ha, ha“.

Zum guten Ton linken Lebens der damaligen Jahre gehörte natürlich die „Nachbereitung“ von Demonstrationen. Die Szene traf sich im „Club Liberitas“ am Nordring, in der Kneipe Küpper am Hellweg oder dem Lokal „Der Punkt“ an der Hans-Böckler-Straße.