Bochum. 18,3 Prozent der Geflüchteten fassen in Bochum auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß. Das ist besser als bei allen Jobcenter-Kunden insgesamt.

Arbeitsmarktexperten sind überzeugt: Den Facharbeitermangel bewältigt die deutsche Gesellschaft nur, wenn ihr die Integration von Flüchtlingen gelingt. Erfolgsgeschichten wie die von Khaled Al-Rifai in Bochum machen Mut.

Schichtende. Mittags verlässt Khaled Al-Rifai die MKG-Chirurgiestation des Knappschaftskrankenhauses in Langendreer. Am 1. Oktober hat der 26-jährige Syrer in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie begonnen, nachdem er zuvor seine dreijährige Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger im Knappschaftskrankenhaus beendet hat. „Und das mit gutem Erfolg“, wie Pflegedirektor Thomas Kissinger sagt.

Problem des Facharbeitermangels

Beschäftigte aus mindestens zehn Nationen arbeiten in der Klinik. Ohne Mitarbeiter aus dem Ausland ist gerade der Betrieb von Krankenhäusern schon lange nicht mehr denkbar. Wobei in der Pflege der Personalnotstand fast schon Tradition hat. „Das war schon in den 1980er Jahren so“, sagt Frank Böttcher, Geschäftsführer des Jobcenters Bochum. Er ist fest davon überzeugt: „Wir kriegen den Arbeitskräftebedarf von morgen nur gedeckt, wenn wir ausbilden, wenn wir im Ausland Beschäftigte finden und wenn es gelingt, Gruppen wie die der Flüchtlinge zu integrieren.

Pfleger Khaled Al-Rifai bei der Arbeit. Er misst den Blutdruck von Patientin Maria Glittenberg.
Pfleger Khaled Al-Rifai bei der Arbeit. Er misst den Blutdruck von Patientin Maria Glittenberg. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Hier gibt es mehr Artikel, Bilder und Videos aus BochumDie Geschichte von Khaled Al-Rifai imponiert dem Jobcenter-Chef mächtig. Denn nachdem der junge Syrer Anfang 2015 nach Deutschland gekommen ist, hat er sich intensiv um eine berufliche Ausbildung bemüht. „Da ich wusste, dass die Sprache dabei ein wichtige Rolle spielt, habe ich zusätzliche Sprachkurse am Abend absolviert“, sagt der junge Pfleger. Sein Deutsch ist nahezu akzentfrei.

Fest in Bochum integriert

Dabei musste er zwischenzeitlich einen Rückschlag wegstecken. „Eigentlich wollte ich studieren“, so Al-Rifai. Aber da sein Abitur nicht und stattdessen nur die Mittlere Reife anerkannt wurde, musste er umdenken. „Ich habe mich für die Pflege entschieden, obwohl viele meiner Bekannten mir davon abgeraten haben. Aber für mich war das genau das Richtige.“

Er liebt seinen Beruf und ist mittlerweile fest in Bochum integriert. Er wohnt hier, gehört dem Vorstand der Medizinischen Flüchtlingshilfe an, hat sich einen eigenen Freundeskreis aufgebaut und kann im Januar 2020 die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen.

Jobcenter-Geschäftsführer Frank Böttcher
Jobcenter-Geschäftsführer Frank Böttcher © FUNKZ Foto Services | Svenja Hanusch

Natürlich weiß Jobcenter-Chef Böttcher, dass es unter den mehr als 6000 Flüchtlingen, die momentan in Bochum leben, nicht nur Erfolgsgeschichten gibt. Aber eines ist ihm wichtig: „Die berufliche Integration von Geflüchteten in sozialversicherungspflichtigen Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt ist bei uns mit einer Quote von 18,3 Prozent erfolgreicher als bei der Gesamtheit unserer Kunden; die beträgt 16 Prozent.“

Anerkennung von Abschlüssen

Die zu Beginn des starken Anstiegs der Flüchtlingszahlen 2015/16 gehegte Hoffnung, es kämen vor allem gut ausgebildete junge Menschen nach Deutschland, hat sich zwar mittlerweile relativiert. Aber das liegt offenbar nicht nur daran, dass eben nicht alle Flüchtlinge tatsächlich über eine gute Schul- und Berufsausbildung verfügen, sondern ist auch ein Problem der Anerkennung von Abschlüssen.

Zentrale Anlaufstelle gefordert

Zuständig für die berufliche Qualifikation von Flüchtlingen sind zwei Anlaufstellen. Für Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge gelten die Bestimmungen des SGB III, zuständig sind damit die Arbeitsagenturen. Für anerkannte Flüchtlinge gilt das SGB II, sie werden betreut von den kommunalen Jobcentern.

In der Bertelsmann-Studie „Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen“ wird beklagt: „Wenn Asylsuchende einen Schutzstatus erhalten, kommt es zu einem Wechsel der Rechtskreise. Begonnene Fördermaßnahmen müssen im ungünstigsten Fall abgebrochen werden und auch der Datentransfer zwischen Arbeitsagenturen und Jobcentern gestaltet sich schwierig. Es braucht daher eine zentrale Anlaufstelle, die den Rechtskreiswechsel möglichst weich gestaltet.“

In Bochum haben nach Auskunft des Jobcenters 2018 insgesamt 105 Geflüchtete eine Ausbildung begonnen, 2017 waren es 65 und 2016 waren es 34. An Sprachkursen werden in diesem Jahr voraussichtlich 4600 Personen teilnehmen. Zwischen Januar und August haben 2038 Menschen Qualifikationsmaßnahmen begonnen. Auf dem Arbeitsmarkt integriert worden seien im ersten Halbjahr 2019 insgesamt 808 Geflüchtete.

Beide, Knappschaftskrankenhaus-Direktor Thomas Kissinger und Jobcenter-Chef Frank Böttcher, schlagen bei diesem Thema die Hände über dem Kopf zusammen. Tatsächlich gibt es, wie aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hervorgeht, „Handlungsbedarf insbesondere bei der Anerkennung von Kompetenzen“. Benötigt werde „ein Anerkennungsverfahren, das im Herkunftsland informell oder non-formal erworbene berufliche Kompetenzen verbindlich feststellt und zertifiziert.“

Thomas Kissinger, Pflegedirektor des Knappschaftskrankenhauses in Bochum hat die Erfahrung gemacht: „Geflüchtete Menschen sind hochmotiviert.“
Thomas Kissinger, Pflegedirektor des Knappschaftskrankenhauses in Bochum hat die Erfahrung gemacht: „Geflüchtete Menschen sind hochmotiviert.“ © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Das würde helfen. Wie im übrigen jede Form von Doppel-Qualifikation, nämlich möglichst gleichzeitige Sprach- und Berufsausbildung, wie sie etwa im Qualifizierungszentrum Quaz-Ruhr in der ehemaligen Opel-Ausbildungswerkstatt in Langendreer möglich ist. Zu Beginn des starken Flüchtlingszuzugs 2015 hatte das Knappschaftskrankenhaus die Idee, ein Projekt auf die Beine zu stellen, in dem genau das – Sprache und Berufsausbildung – im Zentrum stehen sollte. „Aber wir sind eineinhalb Jahre lang zwischen den Instanzen zerrieben werden“, sagt Pflegedirektor Kissinger ernüchtert.

Flüchtlinge sind hochmotiviert

Einen Beitrag zur Integration von Flüchtlingen leiste das Haus aber dennoch, wenn auch nicht projektgesteuert. Zehn bis 15 Praktikanten, so Kissinger, würden jedes Jahr in Langendreer ein Praktikum absolvieren. Sein Eindruck ist: „Die Menschen sind hochmotiviert und sie sind gut ausgebildet. Diese Klientel wollen wir uns zu Gute machen.“