Bochum. 700 Menschen pro Tag erleiden in Deutschland einen Schlaganfall. Beim WAZ-Medizinforum erfuhren Leser aus Bochum, wie man im Ernstfall reagiert.

Ein Schlaganfall entsteht am häufigsten, in rund 80 Prozent aller Fälle, durch eine Minderdurchblutung (Ischämie) bestimmter Hirnareale. Blutgerinnsel verstopfen dabei Gefäße, so dass diese Bereiche nicht mehr mit ausreichend Blut und Sauerstoff versorgt werden. Innerhalb kürzester Zeit sterben viele Hirnzellen ab. 1,9 Millionen pro Minute.

WAZ-Nachtforum Medizin: Beim Schlaganfall zählt jede Minute

Darum machen auch alle drei Referenten an diesem Abend im Knappschaftskrankenhaus deutlich: Time is brain oder auf Deutsch: Hirn ist Zeit. „Jede Minute früherer Therapiebeginn rettet über einen Tag behinderungsfreies Leben“, erklärt Assistenzarzt Finn Drescher.

Dafür müsse aber vom Erkennen des Schlaganfalls, über den Transport in die Klinik und die passende Therapie alles klappen. Beim Patienten Peter Nowak, der seine Geschichte an diesem Abend vor rund 80 Gästen erzählt, war das der Fall.

Patient erzählt seine Geschichte

Assistenzarzt Finn Drescher (links) im Gespräch mit Patient Peter Nowak. Im Hintergrund: Oberärztin Ilka Kleffner,
Assistenzarzt Finn Drescher (links) im Gespräch mit Patient Peter Nowak. Im Hintergrund: Oberärztin Ilka Kleffner, © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

„Meine linke Seite war gelähmt, ich konnte keinen Kaffee mehr kochen, mich nicht anziehen und mich nicht mehr richtig ausdrücken“, sagt er. Ein Glücksfall, dass seine Frau sofort reagierte und den Notruf wählte.

„Die Symptome können variieren, je nachdem welches Hirnareal betroffen ist“, sagt Oberärztin Ilka Kleffner, „es kann zu halbseitigen Lähmungen kommen, Sprechstörungen können auftreten, die Mundwinkel hängen ab, manche Patienten berichten von Sehproblemen oder Doppelbildern.“

Medikamente müssen schnell verabreicht werden

Peter Nowak wurde zunächst ins Bergmannsheil gebracht, da wurde der Schlaganfall festgestellt. In den ersten viereinhalb Stunden des Schlaganfall kann man mit der Lysetherapie beginnen. Dabei werden dem Patienten Medikamente mit Enzymen verabreicht, die zu einer Blutverdünnung führen.

Sebastian Fischer, Leitender Oberarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin erklärte, wie mit Hilfe eines Stent-Retrievers ein Blutpfropfen entfernt werden kann.
Sebastian Fischer, Leitender Oberarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin erklärte, wie mit Hilfe eines Stent-Retrievers ein Blutpfropfen entfernt werden kann. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Durch die Lyse soll das Gerinnsel abgebaut und der Blutfluss wieder hergestellt werden. Seit 2015 gibt es zusätzlich zur Lysebehandlung eine weitere Möglichkeit: Die mechanische Thrombektomie. Dabei wird eine Drahtstruktur, der sogenannte Stent-Retriever, durch die Leistenarterie bis in die Hirngefäße geschoben.

Dort umgibt der Stent-Retriever das gefährliche Gerinnsel, welches sich in der Struktur verfängt und herausgezogen werden kann. Bei Herrn Nowak war eine solche Behandlung möglich. Vom Bergmannsheil wurde er daher ins Knappschaftskrankenhaus verlegt.

„Nicht alle Krankenhäuser können die mechanische Thrombektomie selbst durchführen“, so der Leitende Oberarzt der Neuroradiologie, Sebastian Fischer. „Darum ist eine Kooperation des Rettungsdienstes mit den Kollegen anderer Kliniken so wichtig.“

Spezial-Teams sollen Versorgung sichern

Schlaganfall trifft Männer häufiger als Frauen

Männer sind in allen Altersstufen 30 Prozent häufiger betroffen als Frauen (außer bei den über 85-Jährigen).

Das Risiko eines Schlaganfalls steigt mit zunehmendem Alter. 50 Prozent der Patienten sind über 75 Jahre alt. Durch den demografischen Wandel steigt die Zahl der Patienten vermutlich an.

Einer von zwei Patienten bleibt nach einem Schlaganfall dauerhaft behindert, ein Drittel stirbt im ersten Jahr danach.

Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache in Deutschland.

Sogenannte Stroke-Units sollen die bestmögliche Behandlung von Schlaganfallpatienten sicherstellen. „Dabei sind nicht nur Ärzte wichtig“, gibt Ilka Kleffner zu Bedenken, „unsere Spezialabteilung umfasst auch speziell ausgebildete Pfleger, Logopäden, Ergo- und Physiotherapeuten und den sozialen Dienst.“

Im Ruhrgebiet ist die Dichte von Häusern mit diesen Spezial-Schlaganfallstationen sehr groß. Insbesondere bei der Nachversorgung sieht die Ärztin aber noch Verbesserungsbedarf: „Es gibt keine gute Nachsorgestruktur und zu wenige Sprechstunden. Auch weil Ressourcen fehlen“, sagt Kleffner.

Vor der Nachsorge kommt aber die Akuttherapie. „Ein Schlaganfall tut nicht weh, trotzdem ist er gefährlich“, sind sich die Ärzte im Knappschaftskrankenhaus Langendreer sich einig. Darum: Bei Symptomen lieber einmal zu viel 112 anrufen. Beim Schlaganfall zählt jede Sekunde.

WAZ-Nachtforum gibt Antworten auf Leserfragen

Welche Faktoren erhöhen das Schlaganfallrisiko?

WAZ-Lokalchef Thomas Schmitt moderierte die Veranstaltung und ließ Leserinnen und Leser zu Wort kommen.
WAZ-Lokalchef Thomas Schmitt moderierte die Veranstaltung und ließ Leserinnen und Leser zu Wort kommen. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Das Risiko wird erheblich vom eigenen Lebensstil beeinflusst. Rauchen, fettiges Essen und Drogenmissbrauch können das Risiko erhöhen. Zusätzlich spielen das Alter, erbliche Faktoren, zu hoher Blutdruck und Vorerkrankungen (Vorhofflimmern, Diabetes oder Gerinnungsstörungen) eine Rolle.

Kann man durch Vorsorge einen Schlaganfall verhindern?

Laut Sebastian Fischer gibt es kein festes Regime für die Vorsorge. Engstellen in der Hauptschlagader am Hals gelten jedoch als Risikofaktor, die sich mit Ultraschalluntersuchungen beispielsweise beim Kardiologen untersuchen lassen.

Hat man im Notfall ein Recht auf die Wahl des Krankenhauses (weil dort bspw. die mechanische Thrombektomie durchgeführt werden kann)?

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Die Rettungssanitäter entscheiden über die Klinik. Sie sind jedoch geschult und fahren bei Verdacht auf einen Schlaganfall in ein Krankenhaus mit einer Stroke-Unit-Einheit. Dort wird dann entschieden, ob eine weitere Verlegung nötig ist. Wegen knapper Ressourcen kann nicht jedes Krankenhaus die mechanische Thrombektomie durchführen.

Wann muss mit der Behandlung begonnen werden?

So früh wie möglich. Die Lysetherapie muss innerhalb der ersten viereinhalb Stunden gestartet werden. Die mechanische Thrombektomie sollte innerhalb von sechs Stunden erfolgen. Eine neue Studie zeigt aber: in einigen Fällen gab es auch noch bis 24 Stunden nach Auftreten der ersten Symptome eine erfolgreiche Behandlung.